Heinz Rudolf Kunze Heinz Rudolf Kunze wird 60 - Musiker gibt Konzert in Halle

Halle (Saale) - Heinz Rudolf Kunze ist ein Mann des Wortes. Als Dichter-Sänger sowieso, aber auch als einer, auf den Verlass ist: Punkt Acht kommen seine Musiker auf die Bühne, gleich darauf tritt er selber ins Scheinwerferlicht. „Schön, dass ihr Zeit hattet. Wir hatten auch nichts Besseres vor“, begrüßt er die applaudierende Gemeinde im gut gefüllten Saal.
Da steht er nun und kann nicht anders. Weil er sich so unbestritten am wohlsten fühlt. Was nicht heißt, dass er nicht auch sein Sofa zu schätzen wüsste - „lange schon, dafür musste ich nicht erst 60 werden“, hat der Künstler vor dem Konzert in seiner Garderobe gescherzt.
Wir sind im „Capitol“, einer angesagten, gemütlichen Konzertkneipe in Hannover, an einem neblig-kalten Oktobertag. Bis zu seinem 60. Geburtstag hat Kunze noch ein paar Wochen Zeit, am 30. November ist es soweit.
Und vorher können ihn seine Fans noch in Halle erleben, an diesem Samstag spielt er dort in der Händel-Halle. Und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in ähnlich guter, also bissiger Verfassung sein, wie man ihn kennt.
Heinz Rudolf Kunze: Album "Deutschland" mit gesellschaftskritischen Texten
Darauf legt er auch Wert, diese Wiedererkennbarkeit ist ihm sehr wichtig. Auf die Frage, ob der alte Kunze, der seinerzeit als scharfzüngiger, politischer Liedermacher gestartet war, sein Potenzial in dieser Sparte ausgereizt sah, antwortet der Sänger mit einem schnellen, klaren: „Nein!“. Wie aus der Pistole geschossen kommt das.
Kunze verweist auf seinen Text zum Album „Deutschland“, in dem es heißt: „Rein äußerlich fast wieder heil / Doch innerlich ein Torso / Der eine und der and’re Teil / Noch immer nicht verschmolzen / Im Osten sind die Schamverletzten / Im Westen sind die Stolzen“. Nein, sagt Kunze, „der rote Faden ist nie gerissen“, es seien nur andere Fäden hinzugekommen.
Das Bissige will er nie aufgeben, gerade auch in seinen Zwischentexten nicht, die er während des Konzertes liefert, zwischen zwei Nummern, Schweißabtrocknen und einem Schluck aus der Wasserflasche.
Von Politikern ist in Hannover die Rede, die wie Fledermäuse in der Reichstagskuppel hängen - ein hübsches, morbides Bild, das freilich den Fledermäusen ein wenig Unrecht tut. Und manchen Politikern auch.
Aber die Kunst darf zuspitzen, übertreiben - damit kenntlich wird, was einem manchmal wie ein dumpfer Druck auf dem Magen liegt. Oder auf der Seele. Für Umstände dieser Art fühlt sich Heinz Rudolf Kunze zuständig, schon immer. Geboren im Flüchtlingslager Espelkamp bei Minden in Westfalen, hat der Sohn aus dem Osten geflüchteter Eltern seinen Weg ins Leben begonnen.
In dem zu Herzen gehenden Lied „Wunderkinder“ singt er davon, auch über die gebrochene Erfahrung der Kriegergeneration und ihrer Nachkommen - seit 30 Jahren, auch in Hannover. Die Leute feiern ihn dafür und Kunze nimmt die Huldigung dankbar entgegen.
Er ist lange genug im Geschäft, er weiß, wie man die Leute auf seine Seite bekommt - aber das ist ja keine Sünde, schließlich verkauft Kunze ordentliche Ware.
Heinz Rudolf Kunze: Aktuelles Album "Verbeugungen" mit deutschen Cover-Songs
Zuletzt hat er „Verbeugungen“ vor sehr unterschiedlichen Stücken aus der deutschen Popgeschichte abgeliefert, das Spektrum dieser „Meisterwerke“ (Kunze) reicht von Roy Black bis zu Blixa Bargeld und den Einstürzenden Neubauten. Das hätte er „mit 50 vielleicht noch nicht gemacht“, bekennt der Deutschrock-Barde.
Dabei sind das, so Kunze, nicht seine Lieblingslieder, er verbeuge sich vielmehr vor Stücken, „die anderen mehr bedeuten als mir“. Immerhin: Als er mit der Idee, ein solches Album aufzunehmen, konfrontiert wurde, begann er spontan eben jene Liste zu kritzeln - wohl aus dem Unterbewussten heraus.
Freddie Quinn hatte für Kunze immer „so etwas Halb-Cooles“, Roy Black dagegen gar nicht. Dessen Werke hat er auch nicht in seinem heimischen Plattenschrank.
Und trotzdem wollte er den deutschen Gassenhauern Gerechtigkeit angedeihen lassen und ist auch nicht „in die blöde Falle gegangen, diese Nummern zu verarschen“, wie es einem mit 40 leicht hätte passieren können: „Das haben die Lieder nicht verdient.“
Gelassen wirkt Kunze, im Reinen mit sich. Auch mit Blick auf den runden Geburtstag. „Hätte ich mir vorgenommen, dass der keine Rolle spielen soll, könnte ich’s doch nicht durchhalten, weil ich jeden Tag danach gefragt werde“, sagt er heiter.
Auch sei es ja so, dass man sich heute mit 60 viel jünger und unverbrauchter fühle, als es früher, in den Nachkriegsjahren, der Fall gewesen sei: „Da sahen die Leute mit 40 wie 60 aus.“
Außerdem fühlt sich Kunze von den großen, alten Herren des Rock’n’Roll ermutigt. „Sie machen es mir vor.“ Leonard Cohen, der 82 Jahre alt ist, nennt er als Beispiel: „Solange man noch die Gitarre halten kann, ist alles okay.“
Gesprächsbuch von Heinz Rudolf Kunze erschienen
Zukunftsangst klingt anders. Kunze ist zufrieden, auch wenn es ihm um die vielen Songs leid tut, die in seinem Archiv lagern und vielleicht nie auf einer CD erscheinen werden. Dafür ist der Sänger immer für eine Überraschung gut: Eben ist im Verlag Neues Leben ein Gesprächsbuch erschienen, dessen Autoren Heinz Rudolf Kunze - und der frühere SED-Spitzenfunktionär Egon Krenz sind.
Dass Kunze mit dem Heuler „Dein ist mein ganzes Herz“ seinen größten Erfolg landete, hat ihn selbst überrascht. Ihm war das Stück eigentlich zu poppig. „Aber“, sagt er, „wie kann man einem Lied undankbar sein, das einem das Publikum verzehnfacht?“
Und deshalb erübrigt sich auch die nahe liegende Frage, wie er es schafft, das Lied noch zu spielen - Kunze kommt ganz von selbst auf das Thema: „Die Leute haben ein Recht darauf, das zu hören.“ Da spricht der Demokrat. Und Lessings Weisheit: „Die Kunst geht nach Brot.“
Heinz Rudolf Kunze, 29. Oktober, 20 Uhr, Händel-Halle in Halle
(mz)