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Heinz Rudolf Kunze Heinz Rudolf Kunze: Sommerhits zum Sterben

Von Steffen Könau 23.10.2013, 06:36
Scharfe Texte, unverwechselbarer Sound: Heinz Rudolf Kunze
Scharfe Texte, unverwechselbarer Sound: Heinz Rudolf Kunze dpa Lizenz

Halle/MZ - Der Mann ist früh dran diesmal. Der Kalender zeigt Herbst, die Blätter fallen und Heinz Rudolf Kunze ist im Grunde zurück im Jahr 1989, als der Liedersänger und Rockdichter aus Wedemark bei Hannover zum letzten Mal ein neues Album in den goldenen Oktober hinein veröffentlichte.

„Gute Unterhaltung“ hieß das Werk damals und es beschwor kurz vor dem Mauerfall eine gespenstische „Mitternachtsparty des Menschengeschlechts/die Männer nach links, die Frauen nach rechts“. Kunze garstig, im Hader mit der Welt, hin- und hergerissen zwischen Popstarruhm und Dichterstube.

Die Gitarre rifft wie bei The Who

Ganz anders „Stein vom Herzen“, das neue, inzwischen 34. Album des bienenfleißigen Songschreibers: War er seinerzeit im ersten Lied ein einsamer „Akrobat“, der die Menschen belügt und mit sich selbst im Zweifel lebt, so besingt er sich nun zum Auftakt als „Europas Sohn“ - die Gitarre rifft wie bei The Who, Kunze flicht dem in Verruf geratenen Kontinent Kränze: „Ich bin Europas Sohn / spart Euch den Spott und Hohn“. Kunze, auf dem Cover von „Gute Unterhaltung“ dabei, mit der Gitarre zuzuschlagen, sitzt auf „Stein vom Herzen“ still in einer Badewanne, die auf einem kahlen Kirchendachboden steht. Der Dichter liest, mit sich und seiner Stelle in der Welt im Reinen.

„Wenn ich alles noch mal machen könnte / würde ich gar nichts machen“ hat er mal gesungen. Heute hieße der Satz wohl eher: Würde ich alles wieder so tun. Denn nach Neugründung seiner Band, privater Neubindung an eine neue Liebe, einem neuen Plattenvertrag mit einer nagelneuen Firma und dem Wechsel zu einem neuen Management unter der Ägide des Hallensers Matthias Winkler, der Kunze seit mehr als 20 Jahren als Konzertveranstalter betreut, muss der ausdauerndste und produktivste deutsche Rockmusiker der vergangenen 30 Jahre niemandem mehr etwas beweisen.

Bekenntnis zur EU mit Rock

Er ist ja nach wie vor ganz vorn, dort, wo in intellektuell trüben Pop-Zeiten überraschend gedacht und gesungen wird. Ja, Europas Sohn scheint im Jahr fünf der großen Krise spät dran mit seiner Hymne. Aber er ist immer noch der Erste, der sich rockmusizierend zur EU bekennt. Macht kein anderer. Traut sich einfach niemand.

25. Januar, Leipzig, Haus Auensee, 26. Januar, Magdeburg, Altes Theater, 7. Februar, Cottbus, Gladhouse, 8. Februar, Dresden, Alter Schlachthof, 14. Februar, Erfurt, Stadtgarten

So geht Zufriedenheit, so gelingt auch die Aussöhnung zwischen den beiden Kunze-Polen. Der Popstar kann mit dem Dichter und der Dichter kämpft nicht mehr Rätselreime speiend gegen den Popstar. Das Garstige, das noch auf dem plakativ „Protest“ überschriebenen vorletzten Album überwog, ist gewichen, der ebenso lange wie fälschlicherweise als „Niedermacher“ apostrophierte studierte Lehrer gibt den Motivator und Aufmunterer in den dunklen Zeiten von Vertrauenskrise und Zukunftsangst. Und er singt, was selten ist, mehrfach von sich selbst, statt wie über eine lange Karriere hinweg erfolgreich geübt in verschiedene Rollen zu schlüpfen. „Das Leben nehmen“ ist so ein Song, der den Sänger im nur leicht verschlüsselten Selbstporträt zeigt wie seinerzeit das Epos „Brille“. Gewandelt hat sich auch hier die Zugangsweise.

Die Wut ist weg, Kunze gibt den Tröster, augenzwinkernd: „Man muss das Leben nehmen / aber nicht sich“, kalauert er. Kopf hoch, nicht die Hände! Gut gelaunt geht immer, selbst wenn mal Sterben auf dem Stundenplan steht. Kunze beweist es mit „Hallo Himmel“, einer mit Säuselbackground angemachten Nummer, die nach Sommerhit und weichgeföntem Verkehrsfunkradio klingt. Aber ihre Geschichte letztlich aus der Perspektive eines Sterbenden erzählt.

Das ist der subversive Heinz Rudolf Kunze, der Mann, der immer versucht hat, „unberechenbar zu bleiben“, wie er selbst sagt. Mit Hilfe seiner „Verstärkung“ um die Gitarristen Leo Schmidthals und Zoran Grujovski wechselt der Kinks- und Young-Fan behände von purem Rock wie in „Schämt ihr Euch nicht“ zu Folkloristischem wie „Der Clown schreit Feuer“, auf eine fast schon schlagerhafte Ballade wie „Komm kleine Fee“ folgt dann mit „Küsse unterm Kleid“ ein anzüglicher Text im Ohrwurmgewand von „Mit Leib und Seele“. Dann Kunze am Klavier, der Titelsong. Die Stimme eine überspannte Saite, er singt vom Aufräumen seiner Wohnung und es wird, ein kleines Wunder, ein zu Herzen gehendes Liebeslied. Ach was, ein Minnegesang.

Das kann er auch noch, das konnte er schon immer, genau wie diese mäandernden Bedenkenlieder, die früher „7. Juli vormittags“ hießen und nun als „Die Wahrheit eines Sieges“ eine Neuinterpretation erfahren. Eine Melodie, die sich hinaufwindet, um hinabzustürzen, ehe sie nach fünfeinhalb Minuten in Dudelsackspiel verhaucht.

Mutig wie seit Westernhagen nicht mehr

Danach noch einmal Rock, politisch aufgeladen, es geht gegen Waffenhandel. Danach noch einmal eine Ballade an die Zweisamkeit und, als es schon beinahe zu Ende ist, noch zwei Meilensteine, die komplementär zueinander stehen: „Erwarte wenig“ führt die Figur des Kaisers Marc Aurel in die Popmusik ein und lässt ihn sacht mahnen: „Erwarte wenig, erspar dir Traurigkeit“. Das folgende „Es wird ein gutes Leben“ schildert dann, wie viel dieses wenig heute ist. Ein Lob des Fortschritts, ein Liebeslied an die vielgeschmähte Gegenwart. Mutiger ist seit Westernhagens „Freiheit“ niemand mehr aus dem Glied getreten.

Das Album „Stein vom Herzen“ erscheint am Freitag.