Harald Schmidt wird 60 Harald Schmidt wird 60: Die letzte Glühbirne im deutschen Fernsehen

Halle (Saale) - „Spaziergänger“ wäre das Wort, das Harald Schmidt selbst als Berufsbezeichnung bevorzugen würde. Spaziergänger oder Rumtrödler, jedenfalls nicht mehr Kabarettist, Talkmaster oder Schauspieler. Schmidt, der am Freitag seinen 60. Geburtstag feiert, gefällt sich im Understatement eines Mannes, der alles erreicht und alles hinter sich gelassen hat. Den Ruhm. Den Erfolg. Die Aufregung. Den Ärger.
Vor drei Jahren hat Harald Schmidt seine Fernsehkarriere offiziell für beendet erklärt. Von 1995 an hatte der als Sohn einer heimatvertriebenen Familie in Schwaben aufgewachsene Kirchenmusiker und Schauspieler mit seiner „Late-Night-Show“ nach amerikanischem Vorbild Furore gemacht. Nach acht Jahren bei Sat.1 warb ihn die ARD ab, nach sieben Jahren dort wechselte er zurück zu Sat.1, wo schlechte Einschaltquoten schließlich 2012 für eine Absetzung der Personality-Show sorgten.
Karrierestart am Theater Augsburg
Schmidt, in seinen besten Tagen ein furcht- wie gnadenloser Chronist des Zeitgeschehens, war Mitte 50 und froh, dass ein Angebot des Bezahlsenders Sky ihm den Vorruhestand ersparte. Doch die Verlängerung währte nur zwei Jahre. Das Ende der Zusammenarbeit mit Sky bekam kaum noch jemand mit, weil Schmidt seine Witze hinter der Bezahlschranke weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit gerissen hatte.
Die Zeit war über den hochintelligenten Zyniker und seine Art Klartext-Humor hinweggegangen. Schmidt, der seine Schauspielerkarriere am Theater in Augsburg gestartet, dann aber doch lieber als Kabarettist am Düsseldorfer Kom(m)ödchen weitergemacht hatte, war immer bereit, für eine gute Pointe auch eine Klage zu riskieren. Das Weichgespülte, Verdruckste im deutschen Fernsehwitz hielt der bekennende Hypochonder für uninteressant sowohl für sich selbst als auch für sein Publikum.
Alleinunterhalter der Spaßgesellschaft
Die kantige, zynische Bühnenfigur Schmidt, die soweit entfernt vom echten Harald Schmidt nicht lebt, entwickelte er, während er mit dem 20 Jahre älteren Herbert Feuerstein im Dritten Programm die für deutsche Fernsehverhältnisse anarchische Comedy-Sendung „Schmidteinander“ moderierte. Schmidt, Brille, graues, später weißes Haar, schmale Lippen, breites Lachen, wird zum Alleinunterhalter der Spaßgesellschaft, die aus den Deutschen ein Volk von Aktionären, Egozentrikern und neoliberalen Weltreisenden macht.
Arbeitsteilung in der Jahrtausenddämmerung: Der Neue Markt und die Telekom-Aktie machen alle reich. „Dirty Harry“, wie sich Schmidt nennt, machte sich anschließend über alle lustig, die dabei einen Haufen Geld verloren hatten.
Schmidt führt die Parteien vor, indem er sie frei reden lässt
Die Grünen und die FDP sind damals auf dem Weg, Volksparteien zu werden. Schmidt führt ihre führenden Protagonisten vor, indem er sie ungefiltert reden lässt. „Großartig!“, kräht er dann und wendet sich irgendeinem sinnfreien Spiel mit anderen Gästen zu, die dafür immer irgendein Buch oder eine CD in die Kamera halten dürfen.
Besseres, treffenderes, politischeres Fernsehen ist in Deutschland nie hergestellt worden. Allerdings präsentierte „die letzte Glühbirne im deutschen Fernsehen“ (Schmidt) eben kein Konsensprogramm, das auf Mehrheiten zielte. Heiner Müllers Erkenntnis über die zehn Deutschen, die natürlich dümmer seien als fünf Deutsche, beschränkte Schmidts Wirkungskreis selbst in den großen Jahren auf die globalisierte Mitte, die sich vom Teilzeitschauspieler („7 Zwerge“, „Nich mit mir“) lachend die eigene Doppelmoral unter die Nase reiben ließ. Schmidts Zynismus war ansteckend, seine Art, Menschen und Dinge durch übertriebene Betonung und konterkarierendes Mienenspiel zu vernichten, machte Schule.
"Heute geht deutlich weniger als vor 15 Jahren"
Wo aber alle gleich scherzen, ist der Erfinder nicht mehr Solitär. Schmidts Erfolg, weniger ausgedrückt in Einschaltquoten als in gesellschaftlichem Einfluss, schwindet mit der Übernahme seiner Methoden durch andere.
Die kalte Klinge, mit der der Vater von fünf Kindern den bürgerlichen Alltag seziert, sie wird stumpf. Gleichzeitig scheint ihrem Besitzer der Raum zu schrumpfen, in dem sich gegen Tabus verstoßen lässt, ohne Schaden zu nehmen. Früher habe er immer genau gewusst, „was man sagen kann und was nicht“. Heute dagegen „geht deutlich weniger als noch vor zehn, 15 Jahren“.
Seine Nische hat der Nörgler vom Dienst neuerdings beim „Spiegel“ gefunden. Bei dessen täglichem Newsletter „Daily“ füllt Dirty Harry eine Videokolumne, die er über den Internetdienst Skype beschickt. Alte Schule auf neuen Wegen. Schmidt selbst hat sich das passende Vokabular draufgeschafft. „Trimedial, deep learning. Damit zeige ich, wie digital ich bin.“