Halle Halle: «Ich habe weitergemalt wie vorher»
Halle (Saale)/MZ. - Der Anlass legt die Rückschau nahe, Werner Rataiczyk kann es mit heiterer Gelassenheit tun. Dass er nunmehr 90 Jahre alt ist, würde man ihm allerdings kaum glauben: Leicht gebeugt geht er zwar, wirkt aber geradezu jugendlich. Und frisch, wenn er über sein Künstlerleben spricht.
Dabei ist das nicht leicht gewesen, wer seine Gemälde aus den 50er und 60er Jahren kennt, wird es sich vorstellen können. Kürzlich zeigte sie der Anhaltische Kunstverein angemessen im Dessauer Meisterhaus Kandinsky / Klee. Ein Abstrakter in der DDR, das passte nicht ins kulturpolitische Konzept.
Rataiczyk selber schüttelt den Kopf, erinnert er sich an die Nachstellungen, denen die ästhetischen "Abweichler" ausgesetzt waren, so sehr die gestandenen Lehrer an der Burg Giebichenstein, Halles Kunsthochschule, auch versuchten, Schutz vor den Stalinisten zu bieten. Im Grunde, erinnert sich der Maler, sei die Situation der Verfolgung der "Entarteten Kunst" in der Nazizeit sehr ähnlich gewesen.
Bei den Meistern der Moderne hatte Rataiczyk seine frühen Prägungen erfahren, Feiningers Werk etwa lernte er noch im Kunstunterricht der Weimarer Republik kennen. Geboren in Eisleben, wuchs er in einer Familie auf, die wohl keinen künstlerischen Einschlag, aber Toleranz genug hatte, den Sohn, dessen Begabung früh aufgefallen war, seinen Weg gehen zu lassen.
Der führte ihn nach der Lehrzeit als Gebrauchswerber zunächst in den Krieg, nach Jahren in Nordafrika und Italien in die Gefangenschaft. Dort, unweit von Suez in Ägypten, hat er noch einmal zwei Jahre, eine harte, aber auch lehrreiche Zeit verbracht. An der Lageruniversität, "eine Handvoll Zelte", studierte er Kunstgeschichte.
Auch dies nennt er eine Prägung, wie jene frühe Begegnung mit der Moderne und die spätere mit Florenz und dem Mittelmeer, die er sich abseits des Kriegsschreckens selber schenkte. Dann, im Lager, entstand ungeachtet der schlechten Lebensverhältnisse plötzlich, "aus dem Nichts heraus", Kultur. Eine Theatergruppe bildete sich, ein Orchester. Und es wurde gemalt - auf Karton, mit Farben, die der Wüstenboden hergab. Zurück in Mitteldeutschland, meldete sich Rataiczyk an der Burg, am Tag seiner Vorstellung traf er eine Studentin, in die er sich verliebte und die seine Frau werden würde.
"Wir haben zusammengehalten wie die Kletten", sagt er und lächelt, während wir zu dritt Kaffee auf der Terrasse vor seinem Atelier in der halleschen Talstraße trinken, schräg gegenüber liegt die Burg Giebichenstein. Alles, oder doch fast alles im Haus ist mit eigenen Händen ausgebaut, Werner und Rosemarie Rataiczyk sind stolz darauf. Wie auf ihren Sohn Matthias, selbst ein Maler, der im gleichen Haus den Kunstverein Talstraße erfolgreich durch die komplizierten Zeiten bringt.
1952 haben Rosemarie und Werner Rataiczyk geheiratet, seitdem sind sie auch eine Werkgemeinschaft. Gemeinsam entstanden teils großformatige Gobelins, zudem entwarf und gestaltete Werner Rataiczyk zahlreiche Fenster für Kirchen, darunter in Bernburg und Blankenburg am Harz.
Diese Arbeit war in doppelter Hinsicht wichtig. Sie half, das Auskommen der Familie zu sichern und sie gewährte die künstlerische Freiheit, etwas zu schaffen, das über den Tag bewahrt und gesehen wird. Rataiczyk, der in Halle Malerei bei Erwin Hahs studiert hat, wollte sich zudem keinem politischen Diktat unterordnen, "ich habe so weitergemalt wie vorher", sagt er. Das gilt für die 50er Jahre wie die Zeit nach 1989, dieser Mann musste sich nicht "wenden", er war sich treu geblieben.
Damals, zur Ulbricht-Zeit, durfte er abstrakte Bilder nicht zeigen. Aber sie sind entstanden. Und die Stasi wusste natürlich davon. Er hat sich aber keine Angst einjagen lassen. Sonst, sagt er schlicht, wäre ihm die Möglichkeit genommen gewesen, frei zu arbeiten. Auch solche Positionen gehören zur Kunst der DDR.