1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Gudrun Brüne: Gudrun Brüne: Wider den Herdentrieb

Gudrun Brüne Gudrun Brüne: Wider den Herdentrieb

Von günter kowa 07.12.2012, 17:29

leuna/MZ. - Es gibt ein Bild von Gudrun Brüne, das zeigt die Malerin als Selbstporträt auf einer Leinwand zwischen zwei anderen, die Paula Modersohn Becker und Rosa Luxemburg darstellen. Im Abstecken solcher Pole äußert sich eine gleichzeitige Nähe und Ferne zur Leipziger Schule, zu der sie doch fraglos gehört. Ihre Vorbilder deuten auf entschieden weibliche, wenn nicht feministische Haltung auf männlich dominiertem Terrain.

Sprechende Selbstporträts

In der jüngsten Ausstellung in der Galerie im cCe-Kulturhaus in Leuna - im wesentlichen eine Übernahme der zuvor im Leipziger "Galeriehotel" gezeigten Schau - ist dieses Bild nicht zu finden, dafür begegnen dem Besucher gleich am Eingang zwei nicht minder sprechende Selbstporträts. Gudrun Brüne ist darin zu sehen mit leicht geneigtem Kopf und verschlossenem Gesichtsausdruck, unnahbar fast, und gemalt in ihrer neusachlichen Art mit kräftig modellierendem Pinselstrich und fassbarer Stofflichkeit. Hinter ihr - als ob sie selbst nicht im Bild, sondern davor steht - erscheint Bernhard Heisig, gemalt in unübersehbarer Anspielung auf dessen verschwimmende, auflösende Bildtechnik.

Diese zur Schau gestellten Gegensätze sind umso frappierender als sie das Datum 2011 tragen, Heisigs Todesjahr. Sie stellen die Lebenspartnerin, Ehefrau und vormalige Schülerin von einem halben Jahrhundert gemeinsam erlebter Jahre in ein Verhältnis krass unterschiedlicher Bildsprache. Gudrun Brüne tritt vor Heisig, aber mit einem Ausdruck des Ernsts, der ihr Wesen ist und im Anspruch begründet liegt, ihr Selbstbewusstsein am Vorbild zweier Frauen zu bemessen, die eine aus der Kunst-, die andere aus der Zeitgeschichte.

In den Bildern der Ausstellung taucht Heisig noch zweimal auf. Ein posthumes Porträt zeigt ihn im Profil mit geneigtem Kopf, wobei das Kinn die fallende Linie der anscheinend bergabwärts taumelnden Gesichter aufnimmt. Vielsagend ragt der Maler mit dem Kopf über das Getümmel der Rufer, den Schwall der Klagenden und Gestikulierenden. Sodann erblickt man ihn in der drei Meter breiten Leinwand der "Lebensspiele". Der Titel ist gleichbedeutend mit der Bandbreite der Themen in Gudrun Brünes Malerei, den zombiehaften, zerbrochenen oder hybriden Puppen, den stürzenden weiblichen Ikarussen, den Schalmei blasenden Engeln und dem Sich-Verbergen hinter Masken. Sie malt sich selbst, wie sie aus einem ins Bild gestellten Rahmen auf ihren wirbelnden Figurenkosmos schaut, und hinter ihr erscheint Heisig, wohlwollend und interessiert, aber seltsam unbeteiligt.

Gudrun Brüne "im Schatten" ihres Mannes zu vermuten, einer Leitfigur nicht nur der Leipziger, sondern der DDR-Malerei, wäre vermessen, jedoch erreichte sie die stets respektvoll geäußerte Anerkennung nur in der zweiten Reihe. Kein erstrangiges Haus hat ihr eine Retrospektive gewidmet, Standardwerke und Kataloge kommen über ein paar Zeilen nicht hinaus. Es gibt zwar Monografien über sie mit Beiträgen anerkannter Kunsthistoriker und Kritiker, doch sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gudrun Brüne als Malerin und Grafikerin noch der Würdigung harrt, die bei ihren Vorbildern selbstverständlich ist.

Ihre Verankerung in der Leipziger Schule, die sich etwa in der Breite der kunsthistorischen Anleihen, dem Symbolismus ihrer Bildsprache, dem altmeisterlichen Gestus beobachten lässt, sollte ihr Publikum nicht davon ablenken, dass sie in dieses Umfeld sehr eigenständige Motive und Themen trägt und dafür Bilderfindungen geschaffen hat, die denen der Kollegen an Originalität mindestens ebenbürtig sind. Und das trotz der deutlichen Nähe besonders zu Mattheuer und Tübke - bezeichnenderweise gerade nicht zu Heisig. Sie erweist sich begnadeter als Koloristin denn als Körpermalerin, eine Gabe, die sich in den herbstlichen Blumenstillleben oder dem Kolorit von Gewändern ausspielt, in den Landschaften allerdings auch übers Ziel hinausschießt.

Ihre gesellschaftskritische Ader findet ihr stärkstes Ventil im vielfach variierten Motiv der Puppen, und nicht nur den gebrochenen Kindheitssymbolen, mit denen sie Traumata anspricht, Kriegsverheerung, Vernachlässigung, Missbrauch, sondern auch in den zwitterhaften "Modellpuppen", die in Leuna in eine ungemein starke Dreiergruppe gehängt sind.

Doch Brünes Kunst ist auf diese Aussage allein nicht zu reduzieren. Sie thematisiert das Weibliche in seinem Martyrium ("Schmerzensfrau"), seiner Selbstbehauptung ("Judith") aber auch seiner Koketterie ("Nabelschau"), und nicht zuletzt galt ihr Blick immer schon auch dem Herdentrieb der Masse.

Kommentare zur Anpassung

Erinnert sei an die frühen Bilder übervölkerter Strände, die nun nachklingen in Kommentaren auf gesellschaftliche Anpassung ("Hintereinander her") oder das Karrierestreben, das ins Leere stürzt, wo die Sinnfrage gestellt wird ("Verkündigung"). Der Jubel der Massen ist Brüne suspekt: Noch 2010 sieht sie sie unter dem Transparent von "Wir sind das Volk" einem unsichtbaren Erlöser, 2012 dem "Goldenen Kalb" zujubeln. Ausreißer ins Plakative sind da unvermeidlich, aber dass Gudrun Brüne auch nach 50 Jahren Mitwirken an der Leipziger Schule immer noch eine eigenständige Stimme ist, das nötigt Respekt ab und ruft nach der überfälligen musealen Gesamtschau ihres Werks.

cCe-Kulturhaus Leuna, Spergauer Str. 41 a, bis zum 20. Dezember, Di-Do 11-17, Mi 11-19, Fr 11-13 Uhr und nach Vereinbarung