Trauriger Abschied Götz George: Was die Ostdeutschen so an dem Tatort-Schauspieler faszinierte

Halle (Saale) - Die Schauspielerin Veronica Ferres hat es ganz undamenhaft, aber treffend auf den Punkt gebracht: „Adieu mein Freund Götz George. Scheiße, tut das weh.“
Das werden Millionen Fernsehzuschauer unterschreiben. Denn Horst Schimanski, kurz Schimmi, sein „Tatort“-Ermittler, war ein Freund, ein Kumpel gerade auch für die kleinen Leute - dort, in seinem Duisburger Revier. Und ebenso hier, in Mitteldeutschland.
Ein gerechtes Großmaul
Beide Regionen, das Ruhrgebiet wie die Chemie- und Bergbauregion um Halle, Bitterfeld und den Mansfelder Beritt, haben einiges gemeinsam, obwohl sie reichlich 500 Kilometer voneinander entfernt sind und bis zur friedlichen Revolution des Jahres 1989 sogar auf unterschiedlichen Planeten angesiedelt zu sein schienen.
Aber auch wenn im Osten anderes Bier floss und die Fluppen andere Markennamen hatten - getrunken wurde hier wie da, gequalmt auch. Und manchmal flogen die Fäuste. Alles nicht zu knapp. Das hat mit der proletarischen Prägung, der Lebenslust unter schwierigen sozialen Bedingungen und dem Hang zur Direktheit zu tun, die keine Mauer wirklich trennen konnte. Und genau das war es, weswegen sich so viele Ostdeutsche für Horst Schimanski begeisterten. Götz George, das war Schimanski. Der großmäulige Typ mit dem großen Gerechtigkeitssinn.
Einstecken und austeilen
Der Anarchist, der sich von den Großköpfen nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Der charmante, manchmal unbeholfene Liebessucher, der austeilen kann, aber ebenso oft auch eins auf die Schnauze kriegt. Und der sich doch immer wieder hochrappelt, wenn er im Dreck gelandet ist.
So wie Schimanski wollten wir gerne sein, die gelb-grünen Parka-Jacken ließen sich auch im Osten (oder eben aus dem Westen) besorgen, den kantigen Gesichtsausdruck mit dem traurigen Blick konnte man in langen Nächten an den Theken diverser Eckkneipen und Gartenkantinen trainieren. Nur so frei wie Schimanski konnte unsereins nicht sein.
Das war die schwierigste Rolle von Götz George war.
Dass es Onkel Kurt an der Ruhr nicht anders erging, lernten wir später, als der Westen bis an die Oder reichte. Aber diese Erkenntnis hat der Liebe zu Schimanski keinen Abbruch getan, ganz im Gegenteil. Schimanski war und blieb einer von uns. Und wir waren alle ein bisschen Schimanski. Ehrensache. Selbst, wenn wir die Faust nur in der Hosentasche geballt haben.
Nun, da er tot ist, merkt man, dass da auch ein Stück von einem selbst verloren gegangen ist. Wie sagt Frau Ferres? Wir müssen das derbe Wort noch einmal wiederholen, das die Kinder nicht sagen sollen: „Scheiße, tut das weh.“ Obwohl einem natürlich schon bewusst ist, dass Götz George vor allem eines war: ein Schauspieler. Und noch eine Menge mehr drauf hatte als den aufmüpfigen Bulle aus Duisburg.
Die schwierigste Rolle
Er hat großartige Kinorollen gespielt, in Helmut Dietls Filmen „Schtonk!“ und „Rossini“ zum Beispiel - und in Romuald Karmakars „Der Totmacher“, wo er den Serienmörder Fritz Haarmann mit geradezu beängstigender Präsenz dargestellt hat. Nicht zu vergessen Frank Beyers Gaunerkomödie „Der Bruch“ und das Geschichtsdrama „Aus einem deutschen Leben“ von Theodor Kotulla. Hier spielte George den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß.
Wenn Prominente sterben, ist die Kondolenzliste entsprechend lang - selten aber fällt sie so persönlich aus, wie für den Schauspieler Götz George:
Frank-Walter Steinmeier (Bundesaußenminister/SPD): „Götz George war ein Ausnahmekünstler, der mit seinem vielseitigen, tiefgründigen und intensiven Spiel über Jahrzehnte Millionen von Menschen im In- und Ausland die Abgründe und Hintergründe unserer Gesellschaft offenlegte. Er sog seine Figuren geradezu auf ...“
Heiko Maas (Bundesjustizminister/SPD): „Adieu, Schimmi. Mit Götz George verliert unser Land einen unserer großen Charakterdarsteller.“
Monika Grütters (Kulturstaatsministerin/CDU): „Mit Götz George verliert Deutschland ... einen seiner besten Charakterschauspieler. Er hat mit seiner direkten, kantigen Art und seinem trockenem Humor in unzähligen Rollen Maßstäbe gesetzt. Sein Tod ist ein unersetzlicher Verlust für die Fernsehe- und Kinokunst im ganzen deutschsprachigem Raum.“
Armin Mueller-Stahl (Schauspieler): „Wir verlieren mit Götz George einen großen deutschen Charakterschauspieler. Für mich war er der Beste, den wir hatten.“
Petra Pau (Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages/Die Linke): „Ach nö, dieses 2016 reicht mir wirklich langsam...“
Katrin Göring-Eckardt (Fraktionsvorsitzende der Grünen): „Wenn Götz George geht, bleibt Schimanski und viel mehr.“
Die wichtigste und schwierigste Rolle seines Lebens hat der Schauspieler aber wohl für den 2013 gezeigten Fernsehfilm „George“ übernommen - die des eigenen Vaters. Heinrich George, einer der Schauspielstars der Weimarer Republik und auch der NS-Zeit, wurde nach Kriegsende von den sowjetischen Besatzern verhaftet, Götz George, sein Bruder Jan und ihre Mutter, die Schauspielerin Berta Drews, blieben zurück. 1946 ist George, dem unter anderem seine Mitwirkung an den Nazi-Propagandafilmen „Jud Süß“ und „Kolberg“ zur Last gelegt worden war, im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen bei Berlin gestorben. Götz George war damals acht Jahre alt.
Den Frieden gefunden
Heinrich George ist nicht der einzige Prominente gewesen, der während des Dritten Reiches in die Nähe der Machthaber geriet - aber an ihm wurde ein Exempel statuiert. Ein Trauma für den Sohn, der als Schauspieler stets an dem Alten gemessen worden ist. Und der seinen Vater vermisst hat, wie ein Sohn seinen Vater nur vermissen kann.
Götz George wurde 77 Jahre alt. Erst nach der Beerdigung im engsten Kreis in Hamburg hat die Öffentlichkeit von seinem Tod erfahren. So hat Schimmi das gewollt. Und seinen Frieden gefunden. ((mz)

