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Rock aus Bitterfeld Goitzsche Front aus Bitterfeld: Wie sich die Rockband in Deutschland Gehör verschaffte

Von Steffen Könau 17.02.2018, 11:07
Bassist Christian Schulze, Trommler Tom Neubauer, Sänger Pascal Bock und Gitarrist Maximilian Beuster sind  die Bitterfelder Band Goitzsche Front, die  mit ihrem neuen Album  Kurs auf  Erfolg in Europa  nimmt.
Bassist Christian Schulze, Trommler Tom Neubauer, Sänger Pascal Bock und Gitarrist Maximilian Beuster sind  die Bitterfelder Band Goitzsche Front, die  mit ihrem neuen Album  Kurs auf  Erfolg in Europa  nimmt. NEWADO Entertainment

Bitterfeld - Es gibt nicht den einen Moment, in dem plötzlich klar wird, dass alles ein Irrtum war. Die drei Jahre im Proberaum, in denen „eigentlich nur Bier getrunken wurde“, wie sich Pascal Bock erinnert.

Und die erste CD, die nebenbei entstand und eher „etwas roh“ war, wie Maximilian Beuster schmunzelnd sekundiert. Nein, es dauert eine Weile, bis einem selbst bewusst wird, dass die kleine Spaßpunkband von vier Freunden mehr ist als ein Freizeitprojekt, mit dem man im Nachbarort spielt.

Bei Maximilian Beuster hat es fast ein halbes Jahrzehnt lang gedauert. Der heute 23-Jährige war kurz nach jenem legendären ersten Album zu der  Band gestoßen, die  Bock schon eine Zeit lang mit seinen Kindergartenkumpels Christian „Ulze“ Schulze am Bass und Tom Neubauer hinterm Schlagzeug betrieb.

Goitzsche Front aus Bitterfeld: Erste Begegnung mit Maximilian Beuster

„Er kam mit dem Moped“, erinnert sich Bock, ein großer Kerl mit blankem Schädel und einem „Made in GDR“-Tattoo auf dem schweinsschinkenbreiten Oberarm.

„Maxi“, wie Beuster hier nur heißt, war noch zu jung für den Führerschein. „Und dann hat er ganz schüchtern gefragt“, Pascal Bock, der eigentlich im dröhnenden Bass singt,  imitiert eine recht überzeugende Piepsstimme, „ihr sucht einen Gitarristen?“

So war das, vor sechs Jahren, als die vier Bitterfelder noch dachten, ihre von US-Punkbands und Deutschrock inspirierte Gruppe werde für immer ein Hobby bleiben.

Rockband Goitzsche Front: „Das ist so ein Ding, wo man als junger Musiker immer neidisch ist“

„Es war schön, zusammen zu spielen und aufzutreten“, erinnert sich Beuster, „aber nicht wir, sondern irgendwelche Managertypen sind zuerst drauf gekommen, dass da mehr drin ist.“

Wie viel mehr genau, das hat der fingerflinke Gitarrist eigentlich erst vor kurzem gemerkt, hinter der Bühne, bei einem Festival, als er zufällig auf einen Techniker guckt, der gerade dabei ist, eine Gitarre zu stimmen.

„Das ist so ein Ding, wo man als junger Musiker immer neidisch ist“, sagt er. Junge Bands schleppen ihre Boxen selber, sie bauen auf, kümmern sich um die Instrumente. Auch hier schaut Beuster zweimal hin. „Die Gitarre sieht aus wie meine“, denkt er. Pascal Bock lacht: „Weil es seine war!“

Goitzsche Front aus Bitterfeld: Mit neuem Album Mut machen

Ein Augenblick, der den Musikern aus Anhalt deutlicher als Chartsplazierungen, Millionen Youtube-Klicks  und ausverkaufte Konzerthallen vor Augen führte, was passiert ist, seit ihr Album „Mo(nu)ment“ (hier bei Amazon kaufen) vor zwei Jahren die Hitparaden stürmte.

Aus der Band aus der ostdeutschen Provinz ist eine deutschlandweit vernehmbare Stimme  geworden, die mit ihrem muskulösen Punkrock Klischees im Dutzend zerlegt. Bock, Beuster, Schulze und Neubauer sind nicht wehleidig, sondern selbstbewusst, sie schwärmen von Bitterfeld als „wunderschöner Stadt“ und behaupten allen Vorurteilen zum Trotz, dass „der Osten rockt“ (Liedtitel) und sie hier nicht leben müssen. Sondern wollen.

„Deines Glückes Schmied“ (hier bei Amazon kaufen) haben die vier ihr neues Album genannt, das die Auflehnung gegen Vorurteile und das Mutmachen zum Konzept erklärt. „Uns haben immer Leute gratuliert, weil wir angeblich so viel Glück hätten“, sagt Pascal Bock, den sie in der Band „Bocki“ nennen.

Punkrock aus Bitterfeld: Harte Arbeit als Erfolgsgeheimnis der Goitzsche Front

Mit Glück aber, ist der sanfte Riese mit Tattoos bis zum Mittelfingerknöchel sicher, hat das alles wenig zu tun. „Wir haben hart gearbeitet, wir haben uns reingekniet und geackert“, beschreibt er.

Morgens früh, noch vor der Schicht bei einem großen Autohersteller in Leipzig, geht der 29-Jährige ins Bandbüro. Abrechnung, Fanbestellung, das eigene Festival im Sommer vorbereiten.

Dann Spätdienst, Mitternacht wieder zu Hause. „Dann fällst du nur noch ins Bett“. Aber, glaubt Bock, „wer zu Hause auf dem Sofa sitzt, der wird nie etwas erreichen.“

Goitzsche Front aus Bitterfeld: „Wir wollen echt sein, so, wie wir wirklich sind“

Deshalb dieser Albumtitel, abgeleitet von einem Spruch, den Tom Neubauer seit dem Tod seiner Oma als Tattoo auf der Haut trägt. „Mach was, Du kannst sein, was du willst, du bestimmst dein Schicksal selbst“, fasst Pascal Bock zusammen.

Der große Kerl mit dem sanften Lächeln hat die Erfahrung gemacht, dass es sich am besten anfühlt, Nein sagen zu können. Damals schon, als wohlmeinende Ratgeber meinten, es sei vielleicht besser, einen neuen Namen zu suchen.

„Weil Osten, Bitterfeld, Sänger mit Glatze und Goitzsche Front, das wäre vermarktungstechnisch ungünstig.“ Sie haben darüber nachgedacht. Und abgelehnt. „Wir wollen echt sein, so, wie wir wirklich sind“, sagt Maximilian Beuster, „und wie könnten wir das sein, wenn wir beim ersten Widerspruch unseren Namen ändern?“

Rockband aus Bitterfeld: Goitzsche Front ist stolz auf Heimatstadt

Lieber den schweren Weg, lieber den Gegenwind. „Wir wollen definieren, was Goitzsche Front bedeutet“, sagt Bock. Eine Band, die bodenständig ist, verwurzelt und stolz auf ihre Heimatstadt.

Bock und Beuster sitzen im Restaurant „Seensucht“ an der Goitzsche, in dem  Beuster arbeitet. Der Blick geht Richtung Pegelturm. Es ist kalt, die Goitzsche glänzt in der Wintersonne, auf dem Wasser sitzen Enten wie festgefroren.

„Diese Gegend hier hat einen krassen Wandel durchgemacht“, sagt Beuster. Keine stinkende Chemie mehr, kein Dreck in der Luft, kein Silbersee und  Kinderhusten.

Goitzsche Front: Dichter einer brachialen Poesie

„Tourismus ohne Ende, ein ganz anderes Image“, sieht der Gitarrist stolz. Und gleichzeitig, wie alles immer wieder in die  Ecke gestellt wird - ein  Wahlergebnis, und schon gehe die Weltpresse auf die Suche nach der Bestätigung ihrer Vorurteile. „Dazu eine Elendsdoku aus Wolfen Nord und das Klischeebild stimmt wieder“, knirscht Pascal Bock.

Sie wollen dem etwas entgegensetzen, einen anderen Blick bringen, eine andere Sichtweise. Die Welt ist nicht Schwarz und Weiß, wer Glatze trägt, noch lange kein Nazi und wenn Schlagzeuger Tom, den alle nur knapp „TT“ nennen, auf der Bühne ein „Fuck Nazis“-Shirt trägt, dann macht das aus der Goitzsche Front nicht die „Zeckenband“, als die sie in sozialen Netzwerken beschimpft werden.

Sie sind Dichter einer eigenen brachialen Poesie. „Meine Stadt“ heißt ein Stück auf dem neuen Album, das ein Liebeslied ist, wie es Bruce Springsteen mit „My Hometown“ für die Kleinstadt Freehold in New Jersey geschrieben hat, nur lauter, kraftvoller und ohne Weltuntergangsstimmung. „Die Menschen hier haben es nie leicht gehabt,“ sagt Beuster über Bitterfeld, „aber sie haben zusammengestanden und nicht aufgegeben.“

Goitzsche Front aus Bitterfeld: Aus Hobbymusikern wurde eine Band

Es ist dieses Ethos, das aus den vier Hobbymusikern eine Band gemacht hat, die „wie eine Familie funktioniert“, wie Beuster sagt. Wer sich anstrengt, wird belohnt. Wer sich einsetzt, der ist „sein eigener Gott“, wie es im Titelsong heißt. 

„Es geht nicht um Talent oder Genie oder ob du gut bist oder schlecht“, sagt Beuster, der sich das Gitarrespielen selbst beigebracht hat. „Das Leben ist irgendwann vorbei“, ergänzt Bock, „dann will ich sagen, ich habe getan, was ich richtig fand.“

Sie sind auf dem Weg dazu. „Ich sehe diesen Mann öfter als meine Freundin“, scherzt Bock nur halb im Spaß, „und es passt immer noch mit uns Vieren.“ Eine Freundschaft fürs Leben nennt es der Angesprochene, der für Bock ist, was John Lennon für Paul McCartney war.

Goitzsche Front: Bisher größte Tournee steht bevor

Sie schreiben Songs zusammen, sie sitzen im Bus, im Proberaum, hinter der Bühne. In ein paar Tagen gehen sie auf ihre bisher größte Tournee, erst allein, dann mit den Südtiroler Kollegen von Frei.Wild.

Die Hallen werden noch größer sein, das Publikum wartet nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Es gibt nicht den einen Moment, an dem aus einer kleinen Provinzkapelle etwas Großes wird. Dies hier ist nur einer von vielen. (mz)