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Gespräch mit Hans-Joachim Maaz Gespräch mit Hans-Joachim Maaz: «Radikale Ehrlichkeit gefährdert Marktwert»

Von Andreas Montag 14.02.2003, 14:47

Halle/MZ. - Wie ein Star tritt er nicht gerade auf. Dabei erwartet man es irgendwie. Immerhin ist der "Gefühlsstau", den er nach der Wende in Ostdeutschland diagnostizierte, zum geflügelten Wort geworden. Er ist als Autor und Gast in Talkshows bekannt, wo er den Politikern schon mal die Leviten liest. Seinen Ruf als Psychotherapeut hat er sich im Diakoniewerk Halle erworben. Seit 23 Jahren arbeitet Hans-Joachim Maaz dort, einen Glücksfall nennt er es, die Stelle bekommen zu haben. Am Montag wird er 60 Jahre alt.

Eben ist ein neues Buch von ihm auf den Markt gekommen, es geht um den Lilith-Komplex und um fehlende Mütterlichkeit - seit einiger Zeit das beherrschende Thema seiner Arbeit. In Lilith, der jüdischen Überlieferung zufolge Adams erste, zugunsten der angepassteren Eva verstoßene Frau, sieht Maaz die Schlüsselfigur gravierender Störungen, die umso schwerer wiegen, als sie unbesprochen bleiben: Was geschieht, wenn sich eine Frau der ihr zugeschriebenen Rolle als Frau und Mutter verweigert und statt zu dienen ihren eigenen Anspruch heraus stellt?

Wir alle, Frauen wie Männer, tragen an diesem Konflikt, glaubt Maaz. Und wir tragen ihn nicht wirklich aus. Es klingt überzeugend. Er will helfen, auch deshalb hat es ihn beizeiten zum Arztberuf gezogen. Woher das kam? Ein heikler Punkt könnte das sein: Darf man einen Therapeuten so mir nichts, dir nichts nach Herkunft und Kindheit fragen? Ja. Maaz ist ein Flüchtlingskind: 1943 in Nieder-Einsiedel geboren, heute Dolní Poustevna, im damaligen Sudetenland. 1945 musste die Familie ins benachbarte Sebnitz umsiedeln und verlor Hab und Gut.

Der Vater baute sich eine neue, bescheidene Existenz als Hersteller von Kunstblumen auf - was er zuvor gewesen war. Den hoffnungslosen, durchaus als Illusion begriffenen Traum, wieder in die Heimat zu dürfen, haben die Eltern dennoch nie aufgegeben. Wohl auch deshalb gingen sie nicht in den Westen. Den Plan des Sohnes, Medizin zu studieren, hieß der Vater aus praktischen Erwägungen gut: Ärzte werden immer gebraucht.

Maaz beschreibt die häusliche Grundstimmung als resignativ: "Das hat meine Jugend stark geprägt". Trauer und Schmerz über die Vertreibung seien, wie in vielen anderen Familien, nicht wirklich ausgelebt worden. Emotionale Offenheit hat der Pubertierende vermisst - und Antwort auf die Frage, was die Eltern während der Nazizeit taten. Er hat das Übliche zu hören bekommen: Man wusste nichts, und hätte auch nichts ändern können... Diese Konflikte haben ihn auf seinen Berufsweg gebracht, sagt Maaz. Auch der zwischen dem lebenstüchtigen Vater und der Mutter, "die mich so behandelte, dass ich für sie da sein sollte". Ein Grundirrtum in den Augen von Maaz: "Mütter sind für ihre Kinder da, nicht umgekehrt." Zunächst wollte er Mediziner werden, doch rasch zeigte sich, dass ihn "die einseitige, materielle Orientierung" des Faches nicht interessierte. Der Richtungswechsel, zunächst zur Psychiatrie, hat den Vater sehr enttäuscht, ein Nervenarzt sei eben "kein richtiger Arzt", fand er. Der Sohn indes hatte sich entschieden: Er wollte im Sozialismus (den er schon wegen der Familiengeschichte nicht liebte, aber als unvermeidlich auf unbestimmte Zeit ansah) sinnvolle Arbeit leisten, ehrlich bleiben können und sich nicht verbiegen müssen.

"Oppositionell, aber nicht revolutionär" sei er gewesen, lautet die trockene Selbsteinschätzung. Was ihm wichtig war auf dem freien Feld, das er nach Erfahrungen staatlich verfugter Enge in Bernburg und Beeskow schließlich im Diakoniewerk Halle fand: Menschen nahe zu sein und ihnen zu helfen, Konflikte auszutragen. Die Nachfrage ist seit dem Ende der DDR nicht geringer geworden.

"Wer heute radikal ehrlich ist, gefährdet seinen Marktwert, wer die Wahrheit sagt, wird nicht wieder gewählt". Das Gegenteil würde er gern erleben. Hier lacht Maaz. Er wirbt für eine neue Beziehungskultur, um den Glauben an grenzenloses Wachstum zu ersetzen. Er ist in erster Linie seinen Patienten verpflichtet. Außerhalb seines Feldes macht er sich lieber rar. Weil es Konflikte gibt, bei denen man nur Feindschaft gewinnen, keine Lösung befördern kann.

"Außerdem", sagt er, "bin ich ein eher scheuer Mensch". Ein schöner Satz. Und nicht einmal unerwartet.