Geschichte Geschichte: Wie Lindenberg Honecker aus der Reserve lockte
Halle (Saale) - Vor 25 Jahren unternahm der Panik-Rocker mal wieder einen Flirt-Versuch mit der DDR-Spitze. Honecker freute sich über die Lederjacke. Aber getragen hat der Staatschef sie nie.
Mitte Juni 1987 hat Erich Mielke die Lage noch fest im Griff. Und damit das so bleibt, erlässt der Chef des Ministeriums für Staatssicherheit die Weisung 42 / 87. Inhalt der "streng vertraulichen" Dienstsache, die an alle Diensteinheiten geht: Aufklärung von "antisozialistischen Aktionen", die im Vorfeld eines eventuellen Besuches von Staats- und Parteichef Erich Honecker in der Bundesrepublik gegen den höchsten Repräsentanten der DDR und seine Delegation geplant sein könnten. "Alle geeigneten Möglichkeiten", fordert Mielke, seien gezielt zu nutzen, "um solche Informationen zu erarbeiten."
Das MfS rechnet mit einer ganz bestimmten Art feindlicher Offensive. "Provokationen, Gewaltaktivitäten und terroristische Aktionen" von "hasserfüllten Feinden der DDR" seien aufzuklären und "unter wirksamer operativer Kontrolle" zu halten. Das betreffe ehemalige DDR-Bürger im Westen, aber auch Kritiker in der DDR und sowohl "rechts- wie linksextremistische Elemente".
Nicht eingestellt war Mielkes Truppe allerdings auf Udo Lindenberg, den Panik-Rocker und "Orchesterleiter" (MfS), dem ein Oberleutnant Müller von der Abteilung XX schon seit Oktober 1979 hinterherspioniert. Am 26. Juni vor 25 Jahren aber ist es dann ausgerechnet der Mann mit dem Hut, der Honecker aus der Reserve lockt.
Vier Wochen nach einem Rockkonzert in Berlin/West, das zu schweren Auseinandersetzungen auf der Mauerseite Ost geführt hatte, weil DDR-Rockfans versucht hatten, den drüben spielenden Stars Eurythmics, Genesis und David Bowie zuzuhören, greift Lindenberg vor der Filmkamera zur Feder. In einem udomäßig formulierten Brief beschwert er sich beim "Oberindianer" (Lindenberg) Honecker über das "hirnlose Vorgehen der Rudi-Ratlos-Gangs von der Vopo", streckt dabei aber doch wieder die Hand zur Versöhnung aus. Die beiliegende Lederjacke solle "Honni" inspirieren, raus auf die Straße zu gehen, die "bunten Kiddys" zu treffen und mit ihnen ein "Urbi et Gorbi" anzustimmen.
Eine Geschichte aus dem Kalten Krieg, die es den Fans für einen Moment warm ums Herz werden lässt. Denn Honecker reagiert mit einer Schlagfertigkeit, die dem verknöcherten Funktionär niemand zugetraut hat. Statt den seit Jahren um die Genehmigung für eine DDR-Tournee buhlenden Lindenberg wie üblich abtropfen zu lassen, schickt Honecker "zwei Jungs vom FDJ-Zentralrat" (Lindenberg) ins Westberliner Hotel des Deutschrockers. Die übergeben dem Sänger eine Schalmei, wie sie Honecker in seiner Jugend im Saarland geblasen hatte. Und überbringen die Botschaft, dass die DDR ja seit jeher "sehr jugend- und deshalb auch sehr rockfreundlich" sei.
Die Jacke habe er erfreut erhalten, sie sei zwar "Geschmackssache", passe aber, teilt Honecker dem "lieben Udo Lindenberg" weiter mit. Er sehe in dem Kleidungsstück ein "Symbol rockiger Musik für ein sinnvolles Leben der Jugend ohne Krieg und Kriegsgefahr, ohne Ausbildungsmisere und Arbeitslosigkeit, ohne Antikommunismus, Neofaschismus und Ausländerfeindlichkeit", schreibt Honecker - weniger an Lindenberg als an die eigene Jugend gerichtet, die den gesamten Text im FDJ-Zentralorgan "Junge Welt" nachlesen kann. Da er selbst wenig Gelegenheit habe, die Jacke zu tragen, werde er sie mit Hilfe der FDJ "einem Rockfan zukommen" lassen. Möglich sei auch, so Honecker in seiner Charmeoffensive, "eine Solidaritätsaktion zugunsten der antiimperialistischen Solidarität". Die von der Stasi noch 1983 entdeckte "vorsätzlich begangene öffentliche Beleidigung" des Generalsekretärs durch Lindenbergs Hit "Sonderzug nach Pankow" scheint jedenfalls vergessen. Ebenso wie die Lindenberg in einem Gutachten des Komitees für Unterhaltungskunst attestierte "politische Naivität", die den Sänger glauben lasse, es sei möglich, die Vorteile der verschiedenen Gesellschaftssysteme beider deutscher Staaten zu einem noch besseren dritten System zu verbinden.
Honecker will vor seiner BRD-Reise, die er gegen den Widerstand des Kreml antritt, gutes Wetter mit dem Westen - und um den Preis einer Schalmei bekommt er es. Auch die Lederjacke hilft: Im August 1987 wird sie zugunsten der Dritte-Welt-Hilfe versteigert, mitmachen können alle FDJ-Betriebsorganisationen. 7 500 DDR-Mark blättern dann Jugendbrigaden des VEB Jugendmode in Rostock hin, einer Fabrik, in der die DDR-Jeans der Marken "Disco" und "Shanty" hergestellt werden. Für die DDR ist der Fall damit erledigt.
Für Lindenberg, der nicht begriffen hat, wer hier wem welchen Dienst erweist, noch lange nicht. Als Honecker im Herbst das Saarland besucht, erwartet er seinen Briefpartner schon. Diesmal hat Lindenberg eine Gitarre als "Symbol unserer gemeinsamen Friedensbemühungen" mitgebracht, teilt der Sänger dem SED-Mann auf dem Gehweg mit. Honecker guckt überfahren. Eine Traube aus Kameraleuten bedrängt den Staatsmann und den Musiker. "Danke recht herzlich", stammelte der von Lindenbergs Hartnäckigkeit offenbar völlig überraschte Honecker. Dann sagt er: "Gitarren statt Knarren, vollkommen richtig, weiterhin viel Erfolg, und auf Wiedersehen in der Deutschen Demokratischen Republik." Eine Frau ruft "Schenk' mir deinen Hut, Udo". Dann singt Lindenberg a capella ein paar Zeilen.
Es nützt alles nichts. Die DDR darf er schließlich doch erst bespielen, als Honecker abgetreten ist. Die Jacke landet nach der Wende im Kulturhistorischen Museum Rostock, wo sie heute neben Messgewändern aus dem 15. Jahrhundert, alten Fahnen und Altartüchern die Textil-Sammlung bildet.