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Geschichte Geschichte: Die sprechende Wand

Von Christian Eger 17.10.2005, 14:18

Berlin/MZ. - Es geht auch lauter. In der auf den Fundamenten der Gestapo-Zentrale ausgebreiteten Ausstellung "Topographie des Terrors" zum Beispiel. Eine Präsentation ohne Dach. Weil man sich vor Ort nicht einigen kann, wie denn ein Museum aussehen könnte, werden hier die Schautafeln an Zäune gehängt - wie Bettlaken, die aufs Trocknen warten.

Die aktuelle Schau widmet sich dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess, der am Dienstag vor 60 Jahren mit der Eröffnung des Internationalen Militärgerichtshofes in Berlin in Gang gesetzt wurde. Der Sonderschauzaun ist rund einhundert Meter lang, aus Brettern zusammengesetzt, obenauf von Lautsprechern und Scheinwerfern dekoriert, was wiederum recht lagermäßig wirkt. Auf dem Holz dann 162 Tafeln und 15 Tasten, die einige der angeklagten NS-Größen zum Sprechen bringen. Man hört im schnarrenden Prozess-Originalton Göring, Speer oder Streicher um ihr Leben reden. Man hört ein Dutzend Nazis auf einmal, wenn nach dem Abgang einer Schulklasse die Bänder gleichzeitig laufen.

Die sprechende Wand also. Das ist gar kein so falsches Sinnbild für jenen Prozess, der im Oktober 1946 sein Ende fand: mit zwölf Todesurteilen, sieben Freiheitsstrafen, drei Freisprüchen. Denn der Prozess, der vor 60 Jahren begann, hatte zwar einerseits seine Weltöffentlichkeit - hier saßen mit Aragon, Döblin oder Dos Passos Berichterstatter von Weltruf -, die Nachkriegsgesellschaft vor den Gerichtstoren aber reagierte eher gleichgültig, fast teilnahmslos. Bis heute hat der Prozess an Makeln zu schleppen, die aber nicht gegen ihn sprechen. In der Sache war es kein "Internationaler Militärgerichtshof", denn der wird von Militärs eingesetzt, um Militärs abzuurteilen. Selbstverständlich ist es ein Fall von "Siegerjustiz" gewesen - aber mit welcher Alternative denn? Die Russen stimmten von vornherein für ein Hinrichten nach kurzem Schauprozess; sie litten in Nürnberg stets dann, wenn der Hitler-Stalin-Pakt zur Rede stand.

Es zählt anderes: Erstmals wurden "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und "Verschwörung und Verbrechen gegen den Frieden" als Straftatbestände gesetzt. Das hat seit 1945 kein Verbrechen verhindert, aber doch immerhin zur Sprache gebracht. Wenn der Ex-Diktator Saddam Hussein am Mittwoch in Bagdad vor das Tribunal tritt, findet sich in einem Prozess, der vor 60 Jahren in Nürnberg begann.

"Topographie des Terrors": bis Frühjahr, täglich 10-18 Uhr, Berlin, Niederkirchnerstraß 8