Gert Westphal gestorben Gert Westphal gestorben: Trauer um «Vorleser der Nation»

Hamburg/dpa. - Der Schauspieler und Sprecher Gert Westphal ist tot. Der «Vorleser der Nation», wie er oft genannt wurde, starb nach Angaben der Plattenfirma Deutsche Grammophon (Hamburg) am Sonntag im Alter von 82 Jahren in einer Züricher Klinik an Krebs.
Der aus Dresden stammende Westphal, der seit den 60er Jahren in der Schweiz lebte, hat ein einzigartiges Vorlese-Repertoire geschaffen. Mit seiner unverwechselbaren Stimme und seiner Interpretationsfähigkeit nahm er mehr als 200 Texte der Weltliteratur auf, seine große Liebe galt vor allem dem Schriftsteller Thomas Mann. Noch im hohen Alter war Westphal von Lesung zu Lesung durch das Land gereist.
Die Bandbreite seiner zahlreichen Rundfunklesungen und Plattenaufnahmen sucht ihresgleichen: Ob Theodor Fontane, Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine, Hermann Hesse oder eben Mann - «Dichters oberster Mund» (Katja Mann) las sie alle. Als «König der Vorleser» bezeichnete die «Zeit» einst den beliebten Sprecher, seine Vortragskunst nannte sie ein «akustisches Ein-Mann-Theater». «Er war ein großartiger Sprecher, der enorm viele Texte gelesen hat», sagte der Leiter der Literaturproduktion bei der Deutschen Grammophon, Günter Adam Strößner, am Montag.
Westphal spielte auch auf zahlreichen bedeutenden Theaterbühnen des deutschsprachigen Raumes. Mehr als 20 Jahre gehörte er dem Ensemble des Züricher Schauspielhauses an, wo er große Rollen der Klassik und Moderne interpretierte. 1980 wurde Westphal freiberuflich tätig, arbeitete viele Jahre lang mit dem Tournee- Theater Greve zusammen und inszenierte unter anderem eine eigene Bühnenfassung von Franz Kafkas «Der Prozess». Auch an den Opernhäusern in Bern, Mannheim, Düsseldorf, Braunschweig und Nürnberg führte Westphal Regie. Als Schauspieler wirkte er unter anderem bei den Salzburger Festspielen mit.
Seinen Ruhm hatte Westphal aber vor allem der außergewöhnlichen Wirkung seiner volltönenden Stimme zu verdanken. Zum vielbeachteten Vorleser war er bereits 1963 geworden: An 28 Abenden hatte er damals im Norddeutschen Rundfunk (NDR) Thomas Manns Josefsromane vorgetragen. Der Erfolg war so groß, dass der Verlag auf die dringende Bitte der Buchhändler hin eine preiswerte Buchausgabe der vier Bände auf den Markt brachte. «Ein Mann, der zur Stimme wurde. Und eine Stimme, die niemals langweilig wird», würdigte die «FAZ» einst den Sprecher.
Der vielfach ausgezeichnete Westphal lebte mit seiner Frau in der Nähe von Zürich und war Vater zweier Töchter. Nach dem Bekanntwerden seines Todes änderte der Hörfunksender NDR-Radio 3 sein Programm und wollte am Montagabend (20.05 Uhr) an den bekannten Sprecher erinnern.