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Gerhard Gundermann Gerhard Gundermann: Singender Baggerfahrer bleibt "Einsame Spitze"

Von steffen Könau 21.02.2015, 11:18
Gerhard Gundermann mit Töchterchen Linda 1993 in seinem Garten im Lausitz-Örtchen Spreetal.
Gerhard Gundermann mit Töchterchen Linda 1993 in seinem Garten im Lausitz-Örtchen Spreetal. Brigitte Szirmai/klangverfuehrer.de Lizenz

Halle (Saale) - Wie er da auf der Bühne steht und lächelt, in Fleischerhemd und mit der Hosenträger-Jeans, wirkt Gerhard Gundermann an diesem Junitag vor 17 Jahren grundglücklich mit sich und der Welt. Es tanzen nur einige Menschen bei seinem Konzert im Mai 1998. Doch die Sonne scheint und die Lieder klingen gut. Gerhard Gundermann hat Spaß, sein linker Fuß stampft im Rhythmus.

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Es sind die letzten Live-Bilder, die es von dem Mann gibt, dessen Stimme in den 90er Jahren zur Stimme des Ostens im deutschen Rock wurde. Kurze Zeit später spielt Gundermann in Schulpforte ein Konzert, danach noch eins im brandenburgischen 80-Seelendorf Krams. Das ist Mitte Juni, und eine Woche später ist Gerhard Gundermann, 43 Jahre alt, von Beruf Maschinist für Tagebaugroßgeräte und gerade in der Umschulung zum Tischler, tot. Gestorben in einer Sommernacht in seinem Haus in Spreetal an einem Hirnschlag.

"Gundi" beschrieb das Leben aus Sicht der kleinen Leute

Ein Schock für seine Fans. „Gundi“, wie sie ihn nannten, hatte sich mit nur fünf Alben den Ruf eines Solitärs erarbeitet. In seinen Texten kletterte er vom hohen Roß der Welterklärer, er beschrieb das Leben aus der Sicht der kleinen Leute, der Arbeitslosen, der aus der Bahn Geworfenen. Dazu spielte seine Band Musik im Springsteen-Stil.

Gundermann arbeitet kurz vor seinem Tod an einem Projekt mit dem Namen „Das Koffer-Album“ - die Lausitzer Übersetzung von „Cover-Album“. Die CD sollte Springsteen-Songs mit deutschen Texten enthalten - bis heute hoffen Fans, sie möge eines Tages erscheinen. Doch Springsteen selbst verhinderte das, obwohl sich Gundermann mühte, seine Nachdichtungen von „Atlantic City“ und „My Hometown“ direkt beim Boss vorzulegen. Nora Guthrie, Tochter des Liedermachers Woody Guthrie, las Springsteen die aus dem Deutschen ins Englische zurückübertragenen Gundermann-Texte während eines Fluges vor, angefangen mit „Downbound Train“, bei Gundermann unter dem Titel „War dein Freund“ eine Abrechnung mit einem Rockstar. Die falsche Wahl. Springsteen war nicht angetan, das Projekt kam nicht zustande.

Jubiläumspartys dagegen wird es auch zum 60. Geburtstag des singenden Baggerfahrers an diesem Sonnabend wieder einige geben. So spielen Andreas Dresen und Axel Prahl diesen Sonnabend und Sonntag mit Gästen wie Judith Holofernes, Gisbert zu Knyphausen, Tobias Morgenstern und Hans-Eckhard Wenzel im Berliner Kesselhaus Kulturbrauerei. In der Leipziger Moritzbastei tritt am Montag die Schauspiel-Brigade Leipzig mit Verstärkung von Schauspielern aus Stuttgart und vom Staatsschauspiel Dresden mit einem Gundermann-Chorkonzert auf und in der Kulturfabrik Hoyerswerda singt der Bürgerchor schon am Samstagabend zusammen mit der Brigade Feuerstein und dem Berliner Erich Fried-Chor Lieder des Lausitzers. (mz/stk)

Zum Star machte das den gebürtigen Thüringer nicht. „Er war geerdet und er blieb es“, beschreibt Klaus Koch. Der Plattenfirmengründer brachte alle Gundermann-CDs auf den Markt, er begleitete den Sänger auf Tour und betreute den Merchandising-Stand. Eine Partnerschaft, die zufällig zustande kam. „Er hat mir eine Kassette geschickt, auf der die Lieder waren, die dann das Album ,Einsame Spitze’ wurden“, erinnert sich Koch. Der gebürtige Wittenberger ist angetan und er rechnet durch, „dass das Risiko überschaubar war“. Koch macht die Platte - und zum Premierenkonzert kommen nicht nur 400 Leute, nein, 300 stehen noch vor der Halle. „Da waren all die Leute wieder da, von denen alle dachten, sie sind weg.“

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Gundermann, als junger Mensch Kommunist, Offiziersschüler und Stasi-Spitzel, später Systemkritiker und Opfer des MfS, gibt den Menschen Halt mit Songs wie „Gras“, er ermutigt mit „Linda“ und gibt den „Engel über dem Revier“. Nebenher schiebt er Schichten im Tagebau. Er will nicht abhängig sein von der Musik. „Und er fürchtete, dass er dann nicht produktiv sein könnte“, sagt Klaus Koch. Lieber fährt er nach dem Konzert auf Schicht, nach der Schicht zur Probe. Dazwischen zur Familie, die eine kleine Tochter als Nachzüglerin bekommen hat.

Gundermans letzter Auftritt in Halle:

Gundermann ist eine Kerze, die an beiden Enden brennt und doch nur einen kleinen Raum ausleuchtet. Er spielt vor 400, 600 oder auch mal tausend Leuten. Er rutscht ins Vorprogramm von Joan Baez und Bob Dylan. Bleibt aber zeitlebens ein ostdeutsches Phänomen.

Ganz anders ist das heute, an dem Tag, an dem der singende Baggerfahrer seinen 60. Geburtstag feiern würde. Still und heimlich ist Gundermann wiederentdeckt worden. Der Kohlenmuckel und Springsteen aus dem Tagebau, der mit einem Notfallkoffer durch die Lande reiste, ist zum Liebling einer Generation von Hörern geworden, die ihn nie live erlebt hat. Leute wie Marcel Wischnewski aus Aachen sind das, über Umwege berufen und beim Videoportal Youtube inzwischen selbst Botschafter der Gundi-Kirche. Wischnewski hörte sein erstes Gundermann-Lied aus dem Mund von Eric Fish, dem Sänger der Band Subway to Sally, der es bei einem Solo-Auftritt spielte. „Da war es um mich geschehen“, erinnert er sich. „Das hat mich nicht mehr losgelassen. Die bedingungslose Offenheit, die Gundermann auf der Bühne zeigte, die hat mich ergriffen“, sagt er.

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Ehrlichkeit, die berührt, Ehrlichkeit, die auch Heiner Kondschak herausstellt. Kondschak, lange Haare, Dreitage-Bart, ist im selben Jahr geboren wie Gundermann, allerdings in Niedersachsen, eine Welt entfernt. Solange Gundermann lebte, hat der Schauspieler und Theatermacher nie von ihm gehört. „Dann hat mir jemand eine Kassette zugesteckt, aber ich habe mich wochenlang geweigert, da reinzuhören.“ Erst in einem Stau passiert es, mit Folgen. „Ich bin auf den nächsten Parkplatz und habe sie noch dreimal durchgehört.“

Kondschak entdeckt „Lieder, die ganz für sich stehen“ und „Bilder, die jeder auf seine Weise interpretieren kann“. Er gründet am Tübinger Theater, 600 Kilometer von Spreetal entfernt, die Randgruppencombo, um Gundermanns Lieder wieder auf die Bühne zu bringen. „Zuerst kamen 50 Leute, davon 20 versprengte Ostler“, schmunzelt Kondschak. Wenig später muss es schon der große Saal sein; es geht auf Tour, eine CD wird produziert. Mitlerweile kommen zu Konzerten drei-, viermal mehr Fans als zu Gundermann.

Und die Randgruppencombo ist nicht allein. Der Regisseur Andreas Dresen und die Schauspieler Axel Prahl und Nora Tschirner haben Gundermann für sich entdeckt. Der „In aller Freundschaft“-Arzt Thomas Rühmann spielt ein ganzes Gundermann-Programm, der aus Halle stammende Eric Fish ebenso. Patricia Heinrich von der Gruppe Unbekannt Verzogen singt Gundermann, die Leipziger Saitlinge tun es, der Liedermacher Paul Bartsch, sein Kollege Kai Madlung, Konstantin Wecker und Stoppok, Tino Eisbrenner und die Magdeburger Rockband Aufsturz.

Die Ansteckungswege sind kurz. Langstrecken-Olympiasieger Dieter Baumann etwa hat Gundermann einst bei einem Kondschak-Konzert gehört. In seiner Doping-Affäre richtete er sich dann an Gundermanns Zeilen auf: „Ich habe keine Zeit mehr / im Spalier herumzustehn.“ Tschirners Eltern waren befreundet mit dem Mann aus der Lausitz. Dresen, der mit Axel Prahl Gundermann-Songs auf die Bühne bringt und gerade einen Gundermann-Spielfilm plant, wurde durch eine begeisterte Kollegin vom Fan zum Akteur. „Er war eine Persönlichkeit, die viel widerspiegelt von der DDR“, sagt er. Gundermann habe zwei Leben gelebt: „Die Schichten auf dem Bagger; die Konzerte - die Füße im Schlamm, den Kopf in den Wolken.“

So einer ist nie Hype, wie Klaus Koch sagt. Er kann nicht vergessen, sondern nur entdeckt werden. Christian Haase, der Gundermanns Platz in dessen Band Seilschaft eingenommen hat, wurde „ein Jahr nach seinem Tod mit der Nase drauf gestoßen“, wie er sagt: „Zeitungen verglichen die Musik meiner Kapelle mit der von Gundi.“ Haase ist halb so alt wie Gundermann, er hat sich das angehört und eine Liebe auf das zweite Hören gefunden. „Gundis Musik ist kein Allerweltsgesöff, das sich einfach schlucken lässt“, beschreibt er. Erst nach und nach erkenne man „das Suchen eines Menschen, der zwischen den Stühlen steht, nach Heimat, die bleibt“.

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Paul Bartsch, Liedermacher und Literaturwissenschaftler aus Halle, sieht in Gundermann dennoch nicht „den vereinsamten Rest eines verloren gegangenen Kollektivs“. Sondern einen Künstler inmitten eines Kosmos aus glaubhaften Gefährten. „Ob sie nun Sieglinde oder Brunhilde heißen, ob es graue Kaffeefrauen, mit Grinsen verkleidete Söhne oder müde Väter sind, Gundermann ist einer von ihnen.“

Vielleicht lässt das den Sänger wie die Katze aus seinem Song „Einmal“ in immer neuen Gestalten wiederkehren, gleich dem Gras, das in seinem gleichnamigen Song wächst, „wild und hoch und grün“. Die Aktionskünstlerin Ute Donner malt Bilder nach seiner Musik. Der Erich-Fried-Chor aus Berlin singt seine Stücke als Vokalmusik. An der Theater-Hochschule in Leipzig hat Dozent Frank Raschke Gundermann sogar zum Studienstoff gemacht. Der Jazzmusiker entdeckte Gundermann durch Notenmaterial. „Vielleicht mein Glück“, sagt er, „wahrscheinlich wäre mir das über das Hören nicht so ins Bewusstsein gedrungen.“

Gundermann arbeitet kurz vor seinem Tod an einem Projekt mit dem Namen „Das Koffer-Album“ - die Lausitzer Übersetzung von „Cover-Album“. Die CD sollte Springsteen-Songs mit deutschen Texten enthalten - bis heute hoffen Fans, sie möge eines Tages erscheinen. Doch Springsteen selbst verhinderte das, obwohl sich Gundermann mühte, seine Nachdichtungen von „Atlantic City“ und „My Hometown“ direkt beim Boss vorzulegen. Nora Guthrie, Tochter des Liedermachers Woody Guthrie, las Springsteen die aus dem Deutschen ins Englische zurückübertragenen Gundermann-Texte während eines Fluges vor, angefangen mit „Downbound Train“, bei Gundermann unter dem Titel „War dein Freund“ eine Abrechnung mit einem Rockstar. Die falsche Wahl. Springsteen war nicht angetan, das Projekt kam nicht zustande.

Jubiläumspartys dagegen wird es auch zum 60. Geburtstag des singenden Baggerfahrers an diesem Sonnabend wieder einige geben. So spielen Andreas Dresen und Axel Prahl diesen Sonnabend und Sonntag mit Gästen wie Judith Holofernes, Gisbert zu Knyphausen, Tobias Morgenstern und Hans-Eckhard Wenzel im Berliner Kesselhaus Kulturbrauerei. In der Leipziger Moritzbastei tritt am Montag die Schauspiel-Brigade Leipzig mit Verstärkung von Schauspielern aus Stuttgart und vom Staatsschauspiel Dresden mit einem Gundermann-Chorkonzert auf und in der Kulturfabrik Hoyerswerda singt der Bürgerchor schon am Samstagabend zusammen mit der Brigade Feuerstein und dem Berliner Erich Fried-Chor Lieder des Lausitzers. (mz/stk)

Lautlos aber schafften es „Soll sein“ und „Gras“. „Schnell fiel mir die Tiefe und die kluge Dramaturgie seiner Texte auf; auch die durchdachte melodische Linienführung.“ Inzwischen hat sich Raschkes Begeisterung auf die Studierenden übertragen. 30 Gundermann-Lieder zählen zum Standardrepertoire der Schauspielausbildung. „Sie können neben dem klassischen Repertoire von Brecht und Hollaender bestehen.“

Ein Ritterschlag für den Sehnsuchtssänger, der gerade durch seine Fehler glaubwürdig war, wie Klaus Koch meint. Gerhard Gundermann habe zeitlebens unter seiner Tätigkeit für die Stasi gelitten. Geld interessierte ihn nicht, die Verkaufszahlen seiner CDs waren ihm egal. Er war nicht verführbar, er verweigerte die Anpassung, blieb ein Querkopf. „Er hat das alles für sich gemacht.“

So einer verschwindet nicht, seine Lieder bleiben gültig. „Die meisten pumpen wie eigene durch meinen Kreislauf“, beschreibt Christian Haase. Gundermann ist seit 17 Jahren tot, doch er findet fortwährend neues Publikum, staunt Klaus Koch. „Bei der Randgruppencombo haben 80 Prozent der Konzertbesucher Gundi selbst nie live erlebt.“

Wäre der so früh gestorbene Sänger und Komponist froh darüber, mit seinen Liedern weiterzuwirken? Wäre er glücklich, dass sie heute ein großes Publikum erreichen? Klaus Koch zweifelt. So sei Gundermann nie gewesen. „Ich glaube manchmal, er würde heute einfach schweigen.“

Gundermans letzter Auftritt in Halle: