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Gerd Lucke Gerd Lucke: Preußens neue rote Adler

Von Christian Eger 11.04.2003, 14:43

Weißenfels/MZ. - Der Adler ist der Königsvogel und diese Eigenschaft macht ihn verdächtig im Rasterblick der Demokraten. Dabei waren es stets die gern säbelrasselnden Herren, die seine Nähe suchten, und nicht etwa umgekehrt. Das wollte man ja auch sein: so kraftvoll, so aufsteigend, durch Sonnenlicht nicht zu blenden. Dass der Adler den Blitz abweise, erzählte sich das Volk, dass er die Blitze anzieht, beweist die Geschichte.

Auch das Haus Hohenzollern, das sich 1701 ein Königreich Preußen bescherte, wollte sich den Adler als Logo nicht entgehen lassen. Bis heute verdunkelt das Wappentier die Wahrnehmung dieses hoch merkwürdigen Staates, der immer auch eine Staatsidee gewesen ist, die lange vor Kaiser Wilhelms Pickelhauben ihren Ausgang nahm und ihr Ende fand - geprägt durch Intellekt, Bravour, Spiritualität.

Es ist nicht eigentlich Preußen, das Gerd Lucke dieser Tage umtreibt, und doch ist es sein stolzester zoologischer Nachlass. Als Keramiker ein Künstler von Rang, arbeitet Gerd Lucke an acht mannshohen Adlern, die demnächst hoch in den Himmel über Berlin gehoben werden: gegenüber vom Zeughaus, Unter den Linden Nummer eins, dort, wo einst das Außenministerium der DDR graublau die Sicht auf Preußens Boulevard verriegelte. Im Schlagschatten der Debatte um den Neuaufbau des Stadtschlosses ist hier als Bertelsmann-Repräsentanz ein erster preußischer Neualtbau im Entstehen: die 1653 zunächst als Wohnhaus errichtete Kommandantur - mehrfach umgestaltet, kriegszerstört 1945, dann abgerissen; ein dreigeschossiger Bau, der 1873 mit einer neoklassizistischen Fassade verblendet wurde - und gekrönt von acht Adlern - schweren, martialisch dreinblickenden vaterländischen Vögeln. Dass dieser Auftrag Gerd Lucke im von Berlin aus kaum wahrnehmbaren Weißenfels ereilte, verdankt sich einer Nachwendekarriere besonderer Art. Der 60-Jährige, der heute vor allem ein für die Meißner Porzellanmanufaktur arbeitender Unikat-Meister ist, entdeckte nach 1990 sein Herz für den architektonischen Terrakotta-Zierrat, der von der Gotik an bis hinein ins frühe 20. Jahrhundert große Gebäude schmückte - in Ton gebrannte Zierpfeiler, Reliefs, Kapitelle.

Dass er nicht sofort wusste, in welcher Technologie seine mittelalterlichen Kollegen zu ihren oft hoch anspruchsvollen Plastiken kamen, sagt Gerd Lucke, sei für ihn der eigentliche Ansporn, es selbst auszuprobieren. Alles musste neu gefunden werden: der Ton, die Rezeptur, die Ziegelbrennerei. Heute ist Luckes Gebäude-kosmetische Einsatzliste ist lang: Rathaus Zeitz, Halles Blaue Türme, Universität Rostock, Schweriner Dom, Georgenkirche Wismar. So etwas bleibt nicht unbemerkt und Preußens neue Adler flogen ihm zu. Das Wissen, dass die Adler der Kommandantur nicht etwa in Eisen gegossen, sondern in Ton gebrannt waren, erlangte man erst, als sich in der neuen Baugrube ein paar keramische Federn fanden.

Vermittelt wurde der Auftrag durch Tomas Grzimek, Betreiber der Ziegelei "Golem" in Sieversdorf bei Frankfurt an der Oder. Hier werden die Adler denn auch gebrannt: Neun Zentner Ton ist so ein Preußenvogel schwer, rund 1,80 Meter hoch mit einer Flügelspanne von zwei Metern. Kein Riss darf sich zeigen, wenn der Adler aus dem Ofen kommt; aus einem Guss in einem Stück. Das Risiko sei hoch, sagt Lucke, immer wieder.

Im Mai werden die Vögel auf der Kommandantur platziert, ein Abenteuer auch. Denn als Vorlage für die Adler nur wenig detailkundige Fotografien. Ob Gerd Lucke, die richtige Größe gefunden hat, zeigt sich im Blick nach oben: Unter den Linden unter den Adlern.