Gedenkstätte Buchenwald Gedenkstätte Buchenwald: Das allerletzte Tabu

WEIMAR/MZ. - Dass die Häftlinge inden nationalsozialistischen Konzentrationslagernnicht alle und nicht rund um die Uhr widerständigeHelden waren - wir haben es inzwischen lesenkönnen, bei Jorge Semprún zum Beispiel. Undes war eine Erleichterung, weil die Opferdadurch ein menschliches Maß annehmen durften.Dem Erinnern und der Trauer hat das keinenAbbruch tun können, im Gegenteil: Die Grausamkeitdes Lageralltags hat durch Zeugnisse auchder Angst nur an Plastizität gewonnen.
Freier waren Häftlinge
Nun aber geht es in einer Ausstellungin Buchenwald um ein letztes Tabu: Die Bordelle,in denen weibliche Häftlinge zur Sex-Arbeitgezwungen wurden. Die Freier waren Häftlinge,das ganze Teil des SS-Lagersystems und entsprechenddurchorganisiert. Freilich ist darüber inden vergangenen Jahren schon publiziert worden,auch markiert auf dem Ettersberg bereits eineTafel den Ort, an dem die Baracke für dieProstituierten stand.
Aber ein öffentliches Thema wird dieses makabreKapitel aus dem Schreckensbuch der NS-Zeiterst jetzt durch die akribische, faktenreicheund nüchterne Schau. Sie belegt, was auf Anweisungdes Reichsführers der SS, Heinrich Himmler,ab 1942 in zehn deutschen Konzentrationslagerngeschah, um die Arbeitsmoral der männlichenHäftlinge zu heben.
Denn darum ging es ja: Durch eine in Aussichtstehende Belohnung, wie sie der Bordellbesuchdarstellte, sollten Lagerinsassen zu Wohlverhaltenund Leistung angehalten werden. Das besondersPerfide an diesem System im System war, dasses einen legitimen männlichen Drang nach sexuellerBefriedigung voraussetzte und diesem Bedürfnisinhaftierte Frauen als Objekte zuordnete.
Mehr als 200weibliche Häftlinge mussten bis1945 in den Lagerbordellen arbeiten. Überzwei Drittel von ihnen waren Deutsche, anderekamen aus Polen, der Ukraine, Weißrusslandund den Niederlanden. 16 weibliche Häftlingeaus dem KZ Ravensbrück im Alter zwischen 20und 40 Jahren brachte die SS am 16. Juli 1943als Prostituierte in den "Sonderbau" des KZBuchenwald. Vielen der Frauen war offenbarversprochen worden, sie würden nach einemhalben Jahr "freiwilliger" Sexarbeit entlassenwerden, andere wurden ohne diesen zynischenUmweg einfach zwangsrekrutiert.
Dabei hat die SS die seinerzeit dominierendenGeschlechterklischees geschickt instrumentalisiert:Frauen, die "so etwas tun", würden es wohlschon zuvor getan haben. Vielleicht hättensie ja sogar Freude daran, mit wechselndenMännern zu verkehren. Und obendrein gingees ihnen ja gut: anständige Kleidung, einehübsche Unterkunft, gute Verpflegung.
Die gab es in der Tat, auch wurden die Frauenzu strenger Hygiene angehalten und regelmäßiggynäkologisch untersucht. Alles ist protokolliertund nachzulesen, die SS hat mit deutscherGründlichkeit nichts dem Zufall oder Selbstlaufüberlassen. Selbst die Frequenz der Bordellbesucherist penibel vermerkt. Liest man in Buchenwaldim Erinnerungsprotokoll einer der Frauen,die im Lagerbordell arbeiten musste, öffnetsich indes der Blick auf eine tiefe Einsamkeit.
45 Pfennige pro Mann
Von einem Selbstmordversuch berichtetdie Frau, vom Bemühen auch, an den "arbeitsfreien"Vormittagen das zu verdrängen, was am Abendwieder geschehen würde: Freier auf Freier"besuchten" die wenigen Frauen, dennoch istes zahlenmäßig nur ein kleiner Teil der Gefangenengewesen, die von der durch die SS gewährtenVergünstigung profitierten. Allerdings hatsich eben kaum einer der Bordellgänger, derfür eine Begegnung mit der Ware Frau zweiMark der Lagerwährung zu zahlen hatte, späterauch nur dazu bekennen wollen. 45 Pfennigepro Mann erhielten die Frauen, fünf Pfennigegingen an die Verwaltung des Bordells. DenRest kassierte die SS.
In den Erinnerungen männlicher Häftlinge istmehrmals von anderen Männern die Rede, die"dorthin" gegangen seien, selber wollte manes nicht gewesen sein. Was den Schluss nahelegt,den Männern sei die Erniedrigung der Frauendurch den erzwungenen Sex sehr wohl bewusstgewesen. Aber vielleicht war es auch nur diePeinlichkeit, die lange Zeit als Vorhang fürmännliche Vorstellungen diente, mit welchemRecht der Mann die Frau "zu nehmen" hätte,nämlich mit dem des Stärkeren - in Kriegszeitensowieso, warum also nicht auch in einem Lager?
Bis zum 28. November, im September10-18, im Oktober/November 10-16Uhr, montagsgeschlossen.