Geburtstag von Woody Allen Geburtstag von Woody Allen: Der Stadtneurotiker wird 80 Jahre alt

In Woody Allens neuem Film „Irrational Man“ spielt Joaquin Phoenix einen Philosophen, der ein Bäuchlein vor sich herträgt und an Impotenz leidet – trotzdem sind die Frauen verrückt nach ihm. Professor Abe Lucas, mit anderen Worten, ist ein perfekter Woody-Allen-Charakter, ein Intellektueller, der an der physischen Welt verzweifelt und sich dennoch irgendwie durchwurstelt. Auch wenn er dafür gewisse Stimulanzien braucht, wie zum Beispiel den Nervenkitzel, einen ihm völlig unbekannten Mann umzubringen.
Mit seinem „Irrational Man“ ist Woody Allen in der englischen Provinz angekommen, auf dem Campus von Braylin, wo es freilich nicht weniger neurotisch zugeht als in der Hauptstadt der Psychotherapie: in New York.
Soundtrack zu allen Problemen ist Jazzmusik
Sie ist die Heimat von Woody Allen, auch wenn er als Filmregisseur seit geraumer Zeit zum Europa-Reisenden mutieren muss. Ausgerechnet er, der es über Jahrzehnte hinweg als Körperverletzung ansah, Manhattan verlassen zu müssen, dreht sein Alterswerk in Barcelona und Rom, Paris und London. Die Alte Welt liebt Woody halt mehr als sein angestammtes Biotop im Big Apple, und deshalb findet er hier noch immer Geld für neue Filme.
In einer legendär gewordenen Szene in dem Film „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten“ spielt Allen ein Spermium, das immer wieder diesen einen Satz sagt: „Ich will da nicht raus!“ Schon damals ließ sich der Widerstand nicht aufrechterhalten, so wenig wie heute – Woody muss raus in die feindliche Welt, auch wenn er und wir alle feststellen, dass diese Welt immer und überall aussieht wie New York: Frauen und Männer sind nur dazu da, sich misszuverstehen und voneinander scheiden zu lassen. Die Hauptfigur hat einen jüdischen Hintergrund, aber keine religiöse Identität. Und der Soundtrack zu all den Problemen, Konflikten und Streitereien, die Allen mit größtem Genuss ausbreitet, ist zuverlässig Jazzmusik. Oder auch mal Gershwin, wie schon zum grandiosen Auftakt seines Meisterwerks, das natürlich „Manhattan“ heißt.
Karriere begann am Broadway
Das andere, „Annie Hall“, trägt den deutschen Titel „Der Stadtneurotiker“, womit der Verleih Allen endgültig auf die Rolle des jüdischen, psychisch labilen Intellektuellen in Manhattan festgelegt hatte. Aber diese Rolle spielte er ja auch selbst mit großer Lust, als sein eigener Hauptdarsteller, der sich mit 1,65 Meter Körpergröße und einer enormen Brille auf der Nase gern als eloquenter Verführer präsentierte: Woody Allen hatte sie alle, Mia Farrow und Diane Keaton, und manchmal gingen seine Affären und Ehen auch im wirklichen Leben in den Spalten der Skandalblätter weiter.
Woody Allen ist mehr als ein Autorenfilmer vom alten Schlag, der vom ersten Wort des Drehbuchs bis zur letzten Klappe und später in Schneideraum die Kontrolle behält. Seine Karriere begann er am Broadway, wo sonst? – als Gagschreiber von Bob Hope und John Parr. Er hat fürs Fernsehen gearbeitet, Romane und Theaterstücke geschrieben, und den Montagabend hält er sich nach Möglichkeit frei, um in einem New Yorker Hotel Klarinette zu spielen – handgemachten Jazz, wie sich versteht. Woody hält auf Tradition.
Philospoh mit der Kamera
Doch dieser Bandbreite seiner Talente und Betätigungsfelder zum Trotz liebt ihn die Welt als Quasselstrippe, die einen Witz nach dem anderen reißt. Niemand leidet darunter mehr als er selbst, zeichnet er doch ein eher düsteres Bild von seiner Sicht auf die Dinge. Die Sozialisation in einem jüdischen Elternhaus in Brooklyn habe ihn fürs Leben in Melancholie fallen lassen, vom Menschen erwarte er nicht viel, und überhaupt: Sein cineastisches Idol ist Ingmar Bergman, dem er in einigen – und leider nicht seinen besten – Filmen nacheiferte.
Da würde man ihm am liebsten auf die Schulter klopfen und ihm versichern, dass auch er ein Philosoph mit der Kamera ist – kein dunkler und donnernder Nietzsche, sondern ein wendiger Spötter wie Diogenes, der die Welt von seiner Tonne aus betrachtet aus sehr geerdeter Perspektive. Am Dienstag feiert dieser ironische Weltdeuter aus Manhattan seinen 80. Geburtstag, und noch immer dreht er Filme: Woody, der Unglücksrabe, wie er sich selbst charakterisieren würde – Woody, der Glückspilz, der mit all seinen Selbstzweifeln und Skrupeln so enorme Erfolge feiern konnte. Play it again, Sam.


