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Früher Freunde - heute Fremde: Drama von Anita Shreve

Von Susanna Gilbert-Sättele 14.01.2008, 14:36

München/dpa. - Das Wiedersehen alter Freunde bei einer Hochzeitsfeier - zunächst verspricht Anita Shreves Roman «Eine Hochzeit im Dezember» beschwingte Unterhaltung ohne Problemwälzerei. Doch ihrer Gruppe Mittvierziger ist es gar nicht so wohl zumute, wie es zunächst den Anschein hat.

Denn die Gespenster der Vergangenheit sitzen mit am festlich gedeckten Tisch und verderben der Runde gründlich die Stimmung. Mit unterschwelliger Lakonie und pointierten Dialogen führt die amerikanische Erfolgsautorin durch das Gefühlsdickicht ihrer Figuren, die so realistisch beschrieben werden, dass eine Identifikation mit ihnen leichtfällt.

In dem luxuriösen Landgasthof von Nora treffen sich einige ehemalige Klassenkameraden, um ein Wochenende lang das glückliche Ende der Jugendliebe zwischen Bill und Bridget zu feiern. Die beiden hatten sich erst kürzlich wieder gefunden und erkannt, dass sie trotz Bridgets Krebserkrankung zusammengehören. Zu den Gästen zählen auch Rob, der inzwischen ein gefeierter Pianist ist und seinen Lebenspartner Josh mitgebracht hat, sowie die burschikose Agnes. Auch der zynische Broker Jerry mitsamt seiner unglücklichen Frau und der einfühlsame Familienvater Harrison sind in die Berkshire Hills gereist, um die früheren Freunde wiederzusehen. Jeder gibt sich Mühe zu verbergen, wie sehr das Treffen alte Wunden aufgerissen hat. Vor allem eines trübt die Freude am Wiedersehen. Niemand wagt, das dramatische Ereignis anzusprechen, dass das Leben aller vor siebenundzwanzig Jahren für immer verändert hat: der Tod ihres ehemaligen Freundes Stephen.

Souverän geleitet Shreve ihre Leser zu dem Punkt, an dem sich alle mühsam verborgenen Enttäuschungen, Verdächtigungen und Ressentiments wie in einer Explosion entladen: «Warum machen wir uns alle etwas vor?», fragt schließlich Agnes. «Seit wir uns hier getroffen haben, versuchen wir doch nur krampfhaft, genau die Dinge zu verbergen, die uns am tiefsten berühren. Wir waren einmal die besten Freunde. Jetzt sind wir praktisch Fremde.»

Auch wenn die Geschichte mitunter in seichten Gewässern dümpelt, bringt Shreve sie doch immer wieder in Fahrt, um sie am Ende auf gelungene Weise offen zu lassen. Denn nicht ein plattes Happy End wartet auf ihre Protagonisten, sondern ein Schluss mit Raum für alle denkbaren Varianten. Die 60-jährige Autorin, die seit ihrer «Frau des Piloten» auf eine treue Fangemeinde auch in Deutschland zählen kann, bestätigt mit ihrem neuen Roman ihren Ruf als routinierte Erzählerin.

Anita Shreve

Eine Hochzeit im Dezember

Piper Verlag, München

444 S., Euro 19,90

ISBN 978-3-4920-4753-1