1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Interview: Frauen in DDR: Was ist Mythos und was Wirklichkeit?

Interview Frauen in DDR: Was ist Mythos und was Wirklichkeit?

08.03.2019, 08:00
Viele Texte in der DDR-Frauenzeitschrift „Für Dich“ waren für Anna Kaminsky sehr aufschlussreich. Sie geben Auskunft über das Frauenbild.
Viele Texte in der DDR-Frauenzeitschrift „Für Dich“ waren für Anna Kaminsky sehr aufschlussreich. Sie geben Auskunft über das Frauenbild. Andreas Stedtler

Berlin - Das beste an der DDR, so heißt es, waren die Frauen - sie brachten Beruf, Familie und alle anderen Aufgaben spielend unter einen Hut. Aber stimmt dieses Bild? Anna Kaminsky, die lange in Dessau und Halle gelebt hat, ist in ihrem Buch „FRAUEN im Osten“ dieser Frage nachgegangen. Mit der Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung sprach Bärbel Böttcher.

Frau Kaminsky, täuscht der Eindruck, dass der 8. März mit zunehmendem Abstand zur DDR-Zeit wieder mehr an Bedeutung gewinnt?
Anna Kaminsky: Nein, der täuscht nicht. Aber der Weltfrauentag war ja kein DDR-spezifischer Feiertag. Und es ist glücklicherweise gelungen, ihn von diesem DDR-sozialistischen Ballast zu befreien und auf seinen Ursprung zurückzuführen. Er ist entstanden aus dem Kampf der Frauen um ihre Rechte. Zuerst um das Recht zu wählen und gewählt zu werden. Und es ging auch um den Kampf für Gleichberechtigung. Insofern finde ich es gut, dass heute wieder verstärkt daran erinnert wird: Hier gibt es noch eine Menge zu tun.

Die DDR gab sich ja, was die Gleichberechtigung anbelangt, sehr fortschrittlich. Schon 1950 wurden Gesetze erlassen, auf die Frauen im anderen Teil Deutschlands lange warten mussten. Standen die nur auf dem Papier?
Kaminsky: Nein. Die DDR, aber auch schon die sowjetische Besatzungsmacht hat viele Gesetze und Regelungen erlassen, die es Frauen ermöglichen sollten, arbeiten zu gehen. Aber das geschah aus einer ökonomischen Notwendigkeit heraus. Frauen wurden als Arbeitskräfte benötigt. Natürlich war es auch der DDR-Führung klar, dass dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden mussten. So hat man ihnen per Gesetz gleichen Lohn für gleiche Arbeit zugesichert. Und es wurde der Anspruch auf Kinderbetreuung geregelt.

Also kein echter Fortschritt?
Kaminsky: Doch, ein Fortschritt war das in jedem Fall für all jene Frauen, die nach Kriegsende arbeiten mussten, um die Familien zu ernähren. Dass Frauen sich über ihre Berufstätigkeit auch emanzipieren, das war jedoch nicht unbedingt beabsichtigt. Vielleicht wollte man, dass Frauen sich gegenüber ihren Ehemännern behaupten. Auf keinen Fall sollten sie sich von der männlichen Staatsführung emanzipieren und womöglich noch eigene Forderungen aufstellen. Sie sollten vielmehr darauf vertrauen, dass die Partei schon weiß, was gut für sie ist.

Gab es denn echte Gleichberechtigung?
Kaminsky: Es gab die gesetzliche Gleichstellung von Männern und Frauen. Aber das Verhalten der Menschen ändert sich nicht von heute auf morgen. Die ersten Generationen, die die DDR aufgebaut haben, die sind im Kaiserreich, in der Weimarer Republik oder in der NS-Zeit sozialisiert worden. Die sind mit den dort herrschenden Vorstellungen von Geschlechterrollen und Familienleben aufgewachsen. Und die haben sie nach 1949 nicht einfach abgelegt und gesagt: Ab heute sind wir gleichberechtigt. Der Wechsel setzt erst in den 70er Jahren so richtig ein, als eine komplett neue Generation erwachsen geworden ist. Und manches Rollenbild hat noch lange fortgewirkt.

Zum Beispiel?
Kaminsky: In den 50er und 60er Jahren mussten nicht nur die Frauen davon überzeugt werden, arbeiten zu gehen. Überzeugt werden mussten auch die Männer - nämlich davon, ihre Frauen arbeiten gehen zu lassen. Die Propaganda verkaufte ihnen das mit dem Versprechen, dass sie dadurch keinerlei Einbußen an häuslicher Bequemlichkeit haben würden. Noch in den 70er Jahren sprechen Männer in öffentlichen Diskussionen Frauen die Fähigkeit ab, genauso gute Leiter sein zu können wie sie. Selbst in einer Umfrage Ende der 80er Jahre unter 16- und 17-jährigen Schülern empfinden sich Jungen mehrheitlich als das spätere Familienoberhaupt. Sie wollen nicht, dass ihre künftige Ehefrau voll berufstätig ist.

Es ist gelungen, Frauen mehrheitlich in die Berufstätigkeit zu führen. Vielen machte aber die sogenannte zweite Schicht, die sie im Haushalt leisten mussten, zu schaffen.
Kaminsky: Ja, und was den Frauen empfohlen wurde, um diese Doppelbelastung zu verringern, das war schon zynisch. Auf den Ratgeberseiten der Frauenzeitschrift „Für Dich“ werden Frauen schon mal gefragt, ob sie an ihrer Überlastung nicht selbst schuld seien. Ihnen wird ein kollektiver Putzfimmel unterstellt. Man müsse nicht vom Fußboden essen können, heißt es da. Ein anderer Hinweis lautete, dass das Tischtuch ein bürgerliches Relikt sei. Wer keine Tischdecke benutze, der habe auch weniger Wäsche.

Im Laufe der Zeit gab es ja die sogenannten sozialpolitischen Maßnahmen. Haben die den Frauen Entlastung gebracht?
Kaminsky: Na ja, die sozialpolitischen Maßnahmen umfassten ja viel mehr als nur Erleichterungen für berufstätige Frauen. Dabei ging es auch darum, die Geburtenrate zu erhöhen, die auch in der DDR seit Anfang der 60er Jahre stark sank. Das politische Idealbild sah vor, dass Frauen voll berufstätig sein sollten. Nur das passte nicht zur Realität der sonstigen Belastungen. Arbeitsbeginn war in der DDR sehr früh, meist 6.30 Uhr. Die Kindereinrichtungen, die nicht immer in unmittelbarer Nähe des Betriebes lagen, öffneten 6.00 Uhr. Da haben es die Frauen gar nicht geschafft, pünktlich an ihrem Arbeitsplatz zu erscheinen. Abends mussten die Kinder pünktlich abgeholt werden. Dann das Problem mit dem Einkauf. Die Läden schlossen 18 Uhr. Also haben viele Frauen gesagt: Die Situation lässt es gar nicht zu, dass wir voll arbeiten. Darauf wurde dann in den 70er und 80er Jahren mit verschiedenen sozialpolitischen Maßnahmen reagiert. Unter anderem mussten Frauen mit Kindern nicht mehr 43 Stunden pro Woche arbeiten, sondern nur noch 40. Man war also bemüht, die Frauen zu entlasten. Allerdings - vollständig gelöst wurde das Problem bis zum Ende der DDR nicht. Dafür fehlten die Ressourcen. Doch es gab noch andere Vergünstigungen.

Nämlich welche?
Kaminsky: Wer zwei oder mehr Kinder hatte, wurde bevorzugt mit Wohnraum versorgt oder bekam bevorzugt Ferienplätze. Dazu gehörte auch der zinslose Ehekredit, der jungen Paaren seit 1972 gewährt wurde - zunächst 5.000 und später 7.000 Mark. Die Rückzahlung verringerte sich bei der Geburt jedes Kindes.

Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung unterschieden sich die Geburtenraten in Ost und West kaum noch. 1990 bekam in der DDR statistisch gesehen jede Frau 1,52 Kinder, im Westen waren es 1,45. Warum zündeten die Maßnahmen nicht?
Kaminsky: Es gibt Umfragen noch aus DDR-Zeiten, in denen Frauen angeben, sie wollten ein Kind und nicht mehr. Ihre Begründung: Sie hätten bei ihren Müttern erlebt, wie anstrengend es ist, zu arbeiten und gleichzeitig Kinder groß zu ziehen. Mit einem Kind könnten sie sich das noch vorstellen, aber nicht mit mehreren. Außerdem sagen sie, bei einem Kind wüssten sie, dass sie dem etwas bieten können und auch selbst noch Annehmlichkeiten im Leben hätten. Das heißt: Auch in der DDR verändern sich Ansprüche, die ein Großteil der Bevölkerung und vor allem die Jüngeren an ein schönes Leben richtet.

Wie passt das mit dem liberalen Abtreibungsrecht in der DDR zusammen? Immerhin konnten Frauen ab 1972 innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate selbst entscheiden, ob sie das Kind bekommen oder nicht.
Kaminsky: Das ist in der Tat sehr widersprüchlich. Es wird bis heute gerätselt, warum die DDR das angesichts des Geburtenrückgangs beschlossen hat. Ein Erklärungsansatz lautet, dass es in der DDR eine sehr hohe Zahl an illegalen Abtreibungen gab. Angesichts der gesundheitlichen Risiken für die Frauen sah man sich wohl gezwungen, zu handeln. Zum anderen wollte man natürlich fortschrittlicher sein als der Westen, wo Abtreibungen verboten und erst nach 1975 unter ganz bestimmten Voraussetzungen straffrei blieben.

Die Frauen waren nach der Wiedervereinigung oft die ersten, die arbeitslos wurden. Trägt dieser Umstand nicht zu der heute oft kritisierten Mystifizierung der DDR-Frau bei?
Kaminsky: Ich denke, die DDR-Frau ist schon zu DDR-Zeiten mystifiziert worden. Und zwar durch das Bild, dass die DDR-Propaganda von ihnen gezeichnet hat: Unsere Frauen sind emanzipiert. Sie arbeiten ganz selbstverständlich, schaffen noch den Haushalt und die Kindererziehung. Sie sind gesellschaftlich aktiv und darüber hinaus auch noch schön. Dass Frauen erschöpft waren und vielleicht auch gern mal eine Auszeit genommen hätten, das kam nicht vor. Das propagierte Frauenbild hat das Jahr 1990 überlebt. Was zu dem wunderbaren Spruch führte: Das beste an der DDR waren die Frauen.

Wie hoch ist der Anteil dieser wunderbaren Frauen an der Modernisierung des Frauenbildes in der Bundesrepublik?
Kaminsky: Ich würde schon sagen, dass DDR-Frauen mit ihrem selbstverständlichen Anspruch, berufstätig zu sein, einen beträchtlichen Anteil daran haben. Zum Ende der DDR waren etwa 92 Prozent von ihnen berufstätig. Viele haben sich zwar Entlastungen gewünscht, doch nur Hausfrau zu sein, konnten sich die meisten nicht mehr vorstellen.

Natürlich ist den Frauen in den vergangenen Jahren auch entgegengekommen, dass es einen Arbeitskräftemangel gibt. Es zieht sich durch die Geschichte, dass immer dann auf Frauen zurückgegriffen wird, dass man sie dann hofiert, wenn Arbeitskräfte gebraucht werden. Das war in der DDR so und das wiederholt sich jetzt in der Bundesrepublik und in anderen Ländern. In dem Moment aber, wo Arbeitsplätze rar werden, sind Frauen die ersten, auf deren Mitarbeit man meint, verzichten zu können. (mz)