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Frankreich Frankreich: Über die Kindheit mit dem berühmtem Vater

Von Sabine Glaubitz 22.06.2004, 10:13

Paris/dpa. - Auf der «Avenue Henri-Matisse» im südfranzösischenVence zu wohnen, störte Marc Chagall sehr, denn zwischen den beidenMalern herrschte böses Blut. Auch mit Picasso gab es kleine Querelen.Auf die Frage eines Journalisten, ob er Picasso möge, antworteteChagall nur: «Wenn mich Picasso mag, dann mag ich ihn auch.» Unterdem Titel «Auf den Spuren eines Engels» hat Chagalls Sohn DavidMcNeil seine Erinnerungen an seinen berühmten Vater aufgeschrieben,dessen glühende Farben, fliegende Hochzeitspaare und schwebendeGeiger ihn zu einem der berühmtesten Künstler des 20. Jahrhundertswerden ließen. «Ein märchenhaftes Buch voller Bilder, Gerüche undfantastischer Anekdoten», schrieb die Wochenzeitung «L'Express», alsdas Buch in Frankreich veröffentlicht wurde.

Mit den Augen eines Kindes beschreibt McNeil, der heute einbekannter Jazzsänger ist, auf rund 160 Seiten liebevoll, poetischund unterhaltsam kleine amüsante Geschichten, die er mit seinemrussischen Vater erlebte. Chagall, der fast 100 Jahre alt wurde,starb 1985 in Südfrankreich.

So erinnert sich der in New York geborene McNeil an die langenStunden, die er mit dem Grundieren der Werke seines Vaters verbrachte- eine Arbeit, die Chagall nur ungern tat. «Also wurde das zu meinerAufgabe erklärt (...). Da es mir weitaus mehr Vergnügen bereitethätte, an den Strand zu gehen, setzte Papa eine raffinierte Strategieein, damit ich seine Bilder für ihn kolorierte. Er erklärte, dieBlätter flögen davon, wenn sie vollständig mit Farbe bedeckt seien(...). Ich malte und malte, in gelb, rot, grün, sorgfältig undunermüdlich, damit ja kein Eckchen weiß blieb, doch ich konnte dieFarbe noch so gründlich auftragen, kein einziges Blatt flog jemalsdavon.»

Chagall, der am liebsten Holzfällerhemden trug und die Maniehatte, Zucker zu stehlen, wollte nicht, dass sein Sohn aus der Ehemit der Engländerin Virginia Haggard, die ihn sieben Jahre späterverließ, Maler würde. Er sollte Architekt werden, denn sein Leben alsKünstler zu fristen, war in seinen Augen unerträglich.

Obwohl Chagall ein anerkannter und vermögender Künstler war,glaubte er stets, dass er arm sei. «Papa war nie richtig bewusst,dass er ein reicher Mann war, so brachte er mir zum Beispiel bei, wieman sich die Nase mit einem Finger schnäuzt, um Taschentücher zusparen. Oder wir besichtigten den Louvre am Sonntag, weil es dannkeinen Eintritt kostete», schreibt McNeil, der Chansons für YvesMontand, Julien Clerc und Jacques Dutronc textete und heute in Monacolebt.

Eigentlich wollte McNeil nie seine Kindheit niederschreiben, dochdas Buch von Marina Picasso, die ihren Großvater als einenegozentrischen und boshaften Maler darstellt, ließ ihn zur Federgreifen. «Ich hatte Lust, für meinen Sohn nur drei Seiten zuverfassen, um ihm zu zeigen, dass nicht alle berühmten Männer Monstersind», erklärte McNeil, der in Frankreich bereits mehrere Romaneveröffentlicht hat, in einem Interview.

Ein Vorhaben, das ihm mit diesem voller Liebe, Witz und Ironiegeschriebenen Band hervorragend gelang. Das Porträt, das er vonseinem Vater zeichnet, spiegelt einen bescheidenen, warmherzigen,Skandale und exzentrische Inszenierungen scheuenden Maler wider, dernach 50 Jahren Frankreich seinen russischen Akzent und noch mit 80Jahren seine Naivität behalten hatte. «Die Naivität ist demEngelhaften sehr nahe. Deshalb habe ich mein Buch über die Kindheitmit meinem Vater "Auf den Spuren eines Engels" genannt», sagt McNeil.

David McNeil: Auf den Spuren eines Engels, Die Kindheit mit meinem Vater Marc Chagall, Ullstein Verlag, Berlin/München, 160 S., Euro 15,00, ISBN 3-550-07591-X