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Franckesche Stiftungen Franckesche Stiftungen in Halle: Vor 30 Jahren belebt ein Freundeskreis die Kultureinrichtung

Von Andreas Montag 09.06.2020, 07:00
Der verzierte Giebel des Hauptgebäudes der Franckeschen Stiftungen in Halle. 
Der verzierte Giebel des Hauptgebäudes der Franckeschen Stiftungen in Halle.  dpa

Halle (Saale) - Was waren das für Zeiten! Die Mauer gefallen, erstmals hatte es freie Wahlen zur Volkskammer der DDR gegeben - und die deutsche Einheit war schon in Sicht. Vielerorts war aufzuräumen, viele mussten sich neu positionieren für die neuen Verhältnisse. Und es herrschte allerorten eine Aufbruchstimmung, wie man sie im Osten Deutschlands wohl seit der Nachkriegszeit nicht mehr erlebt hatte.

Da lag es nahe, dass sich Menschen in Halle Gedanken machten, wie man den 1846 ihrer Rechtsform und Eigenständigkeit beraubten, über die Jahrzehnte nicht nur baulich, sondern auch ideell verfallenen Franckeschen Stiftungen wieder auf die Beine helfen könnte. Der Theologe August Hermann Francke hatte das pietistisch geprägte Bildungs- und Sozialwerk im Jahr 1698 in der halleschen Vorstadt Glaucha begründet, später hat es seinen Namen erhalten.

Die Rettung der Stiftungen verlief zunächst quasi zweigleisig, wobei es wiederum ein Theologe war, der hallesche Professor Helmut Obst, der nach der Friedlichen Revolution von 1989 den Gedanken einer Wiederbelebung im ursprünglichen Geiste hegte und dann auch verfolgte.

Eine Million D-Mark

Schon zuvor, Mitte der 1980er Jahre, waren noch andere Pläne geschmiedet worden. Der in Halle lehrende Romanist Ulrich Ricken hatte während eines Studienaufenthaltes in Wolfenbüttel mit dem dortigen Hüter der Bibliothek, dem hoch angesehenen Paul Raabe (1927-2013), über die hallesche Malaise gesprochen.

Und Raabe, der bestens vernetzt war in der Bundesrepublik, fädelte dann den Kontakt zur Volkswagenstiftung ein, die bereit war, eine Million D-Mark für die Sanierung der maroden Stiftung um das historische Waisenhaus in Halle zu geben. Ende der 1980er Jahre, also noch zu DDR-Zeiten, nahm die Sache Fahrt auf, Raabe besuchte die Franckeschen Stiftungen - und sein Entsetzen über den Taubenkot, der den Dachboden des Hauptgebäudes verdreckte, ist legendär. Er selbst hat schaudernd davon erzählt.

Die ursprüngliche Idee, von Ricken inspiriert, zielte auf die Einrichtung eines Zentrums zur Erforschung der europäischen Aufklärung. Das ist dann, unter Federführung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, auch entstanden.

Der Freundeskreis hat sich zu einer wichtigen Stütze der Franckeschen Stiftungen entwickelt. Er unterstützte diese mit mehrere Millionen Euro aus privaten Spenden. Zu Beginn standen Bauvorhaben im Vordergrund - wie die Restaurierung des Francke-Denkmals von Christian Daniel Rauch und der Rühlmann-Orgel im Freylinghausensaal. 

Jetzt liegt das Augenmerk auf der Unterstützung sozialer und soziokultureller Projekte, darunter für das Krokoseum und das Familienkompetenzzentrum. Dort gibt es einen Sprach-Stammtisch für Migrantinnen und Migranten und deren Kinder. Lernförderung im Familienzentrum und Familienpatenschaften kommen hinzu.

Obst indes ging es um Grundsätzliches. Könnte man nicht das Erbe Franckes aufnehmen, um es zeitgemäß fortzuführen? In einer der vielen Versammlungen, die man seinerzeit zu politischen wie gesellschaftlichen Themen abhielt, schlug er im Dezember 1989 vor, die Franckeschen Stiftungen wiederherzustellen. „Das löste große Verwunderung aus“, erinnert sich der 2006 emeritierte, inzwischen 79-jährige Obst: „Es war, als hätte ich die Wiedereinsetzung des Adels gefordert.“

Aber immerhin: Der Gedanke, einen Freundeskreis der Stiftungen zu gründen, hatte sich in vielen Köpfen verfangen. Im Februar 1990 nahm das Projekt schon Gestalt an, am 9. Juni des gleichen Jahres fand die Gründung statt. Ein erster, wesentlicher Schritt hin zu neuer Selbstständigkeit der Stiftungen. Raabe wurde zum Vorsitzenden des Freundeskreises gewählt, Obst zu seinem Stellvertreter. Gerade noch in der DDR, aber in einem quasi rechtsfreien Raum, sollte Franckes Werk nun zu altem Recht und neuer Geltung verholfen werden. Wenn er heute in seine Tagebuchaufzeichnungen von damals blickt, „liest sich das wie ein Abenteuerroman“, sagt Obst.

Er bekam es mit „reformfreudigen Genossen“ zu tun, die ihre Zukunftsfähigkeit unter Beweis stellen wollten. Die Universität wollte am liebsten an den Stiftungen festhalten, auch die Stadt Halle entdeckte ihr Herz für sie.

Die evangelische Kirchenprovinz Sachsen, die 2009 in der mit den Thüringern gebildeten Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands aufgegangen ist, brachte Dokumente bei, denen zufolge man 1946 gegen die Auflösung protestiert und diese nie anerkannt hatte. Am 18. September 1991 kam dann der Bescheid von der Landesregierung aus Magdeburg: Die Rechtspersönlichkeit der Franckeschen Stiftungen war wieder hergestellt.

Ärger mit der Treuhand

Eine Erfolgsgeschichte, bei allem Ärger, den es auf dem Weg zu bestehen gab, auch mit der Treuhand. Die hatte das einst stiftungseigene Gut Stichelsdorf schlankweg verkauft. Und dann war über die Hochhäuser zu entscheiden, die man zu DDR-Zeiten auf dem Stiftungsgelände errichtet hatte. Wollten sie die übernehmen? Sie wollten nicht und taten gut daran, wie Obst sagt.

Rückblickend überwiegt die Freude über das Erreichte. „Wir wollten kein Museum des Pietismus errichten, sondern tätige Bildungs- und Sozialarbeit leisten“, sagt Obst, der später eine Zeit lang Direktor der Stiftungen war und heute Ehrenvorsitzender ihres Kuratoriums ist. Er hebt besonders das deutsch-deutsche Zusammenwachsen hervor, personifiziert in den den beiden Führungsfiguren der Gründertage - Paul Raabe und ihm selbst. Mit der Zeit sei eine Freundschaft zwischen ihnen entstanden. Auch dafür ist er dankbar. Und dass er so viel für die Verwirklichung seines Traums von 1989 tun durfte. (mz)