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Filmstudio Filmstudio: Alles nur Fassade in Babelsberg

Von Thomas Leinkauf 28.05.2016, 10:57
In der neuen Berliner Straße: links das Moka Efti, rechts einer der Straßenzüge des armen Wedding.
In der neuen Berliner Straße: links das Moka Efti, rechts einer der Straßenzüge des armen Wedding. Paulus Ponizak/BZ

babelsberg - Uli Hanisch steht in Potsdam-Babelsberg vor einem Glaspalast, der Moka Efti heißt. Das Moka Efti ist ein legendäres Berliner Café- und Tanzhaus aus den Zwanzigerjahren, oder besser: Es war einmal eins. Giovanni Eftimiades, ein griechischstämmiger Kaufmann mit italienischem Pass, gründete das Haus - 2 800 Quadratmeter in einem alten Palais in der Leipziger-, Ecke Friedrichstraße. Dann ging es in der Weltwirtschaftskrise pleite, zog um in den Tiergarten, wurde Berlins beliebtestes Tanzhaus. Bis es nichts mehr zu tanzen gab.

Uli Hanisch ist auf das Moka Efti gestoßen, als er den Auftrag erhielt, auf dem Filmstudiogelände in Babelsberg ein Stück altes Berlin wieder auferstehen zu lassen. Er hat dann gleich noch vier Straßenzüge dazu entworfen, die sogenannte Neue Berliner Straße. Hanisch, Jahrgang 1967, ist Szenenbildner beim Film. Sein Job ist es, für eine Geschichte die dazugehörende räumliche Welt zu erfinden. Das hat er schon oft gemacht, für „Das Parfum“ beispielsweise oder für „Cloud Atlas“. Er hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, er gilt als einer der Besten in der Branche. Diesmal lautete sein Auftrag, die Kulissen für „Babylon Berlin“, ein ehrgeiziges deutsches Serienprojekt, zu entwerfen. Aber es ging nicht nur um diese eine Serie. Es ging um ein Projekt, von dem sich das Studio Babelsberg viel für die Zukunft verspricht.

Neue Berliner Straße heißt die Kulissenlandschaft, weil es schon einmal eine Berliner Straße gab. Die ursprüngliche Idee, einen ganzen Straßenzug im Originalmaßstab als dauerhafte Kulisse für Außenaufnahmen zu errichten, stammt noch aus DDR-Zeiten, nur fehlten dem chronisch klammen Land die Mittel. Nach der Wende tauchten die Pläne erneut auf. Aber erst als der Regisseur Leander Haußmann „Sonnenallee“ drehen wollte und keine reale Straße zu finden war, die den Anforderungen des Drehbuchs entsprach, wurde 1998 eine 130 Meter lange Kulissenstraße mit 26 Häuserfassaden gebaut: die Berliner Straße. Eigentlich sollte sie nur für diesen einen Film stehen, aber dann wurde sie 15 Jahre lang genutzt - für über 60 Produktionen. Deutsche Filme wie „Herr Lehmann“, die Adaption von Sven Regeners gleichnamigem Roman, und „Russendisko“ entstanden dort, aber auch Hollywood-Welterfolge wie „Der Pianist“ und „Inglourious Basterds“.

Neues Grundstück für neue Straße

Eigentlich hätte es so weitergehen können, aber das Gelände, auf dem die Berliner Straße stand, gehörte dem Studio Babelsberg nicht, und die Eigentümer hatten andere Pläne. So erwarb das Studio ganz in der Nähe neue Flächen und legte im August 2014 den Grundstein für die neue Straße. „Wir haben lange überlegt, ob wir die Straße wirklich bauen sollten“, sagt Christoph Fisser. Der 59-jährige Vorstand der Studio Babelsberg AG und Co-Produzent vieler nationaler und internationaler Filmproduktionen erzählt von den Vorteilen solcher Kulissen. Heute seien für historische Stoffe kaum noch geeignete Originalstraßen zu finden. Und wenn doch, dann kostet die Nutzung 40 000 Euro am Tag - Sperrung inklusive. Solch ein Kulissenprojekt wie die Neue Berliner Straße, das es nirgendwo sonst in Europa gibt, sei für Filmproduktionen verlockend und ziemlich exklusiv. Aber zugleich seien die Investitionen für Babelsberg immens.

16 Millionen Euro schießt das Studio vor. Eine Menge Geld, wenn man bedenkt, dass es noch 2013 und 2014 Millionenverluste machte und erst 2015 einen Gewinn von 5,5 Millionen Euro erwirtschaftete. „Gewinn machen wir nur, wenn auch wirklich innerhalb unserer Ateliers gedreht wird und wir große Kulissen bauen können“, erläutert Fisser.

Filme kann man heutzutage überall produzieren. Babelsberg konkurriert weltweit mit 80 Standorten, wenn es um den Zuschlag für eine Filmproduktion geht. Wer jedoch einmal in den Studios dreht, lobt die Professionalität der Crews, die hier arbeiten, und das tolle Umfeld, zu dem natürlich auch Berlin als Stadt gehört. In einem Trailer schwärmen Hollywood-Größen wie Steven Spielberg, Quentin Tarantino, George Clooney, Roman Polanski, Tom Hanks und Cate Blanchett von Babelsberg. Aber das sind nur die „weichen Faktoren“. Je teurer eine Produktion wird, desto eher entscheiden Finanzvorstände und nicht die Kreativen, wo sie drehen.

In Deutschland kann man pro Film lediglich bis zu vier Millionen Euro Filmförderung beantragen, im Ausnahmefall zehn Millionen Euro. „Wir könnten hier auch für Hunderte Millionen den neuen ,Star Wars' produzieren“, sagt Fisser. „Technisch und personell für das Studio kein Problem. Aber wegen der fehlenden Förderung ist das momentan illusorisch.“ Dabei ist der Nutzen immens: Beim „Homeland“-Dreh, einer US-Serie, waren bis zu 700 deutsche Mitarbeiter beschäftigt, Englisch sprechend und gut ausgebildet, und nur 15 Amerikaner. 45 Millionen Euro wurden in der Region ausgegeben und ein unbezahlbares Marketing für die Stadt Berlin generiert. Als George Clooney hier „Monuments Men“ gedreht hat, machten 70.000 Medienberichte Babelsberg weltweit bekannt. Christoph Fisser ist optimistisch, dass die Politik ihre Fördermittel dem Wettbewerb stärker anpassen wird.

„Um solch eine teure Kulissenstraße anzuschieben“, erläutert Fisser, „bedarf es, ähnlich wie seinerzeit mit ,Sonnenallee', der Unterstützung durch ein großes Filmprojekt.“ Zunächst platzten zwei Produktionen wegen fehlender Förderung. Doch dann kam gerade noch rechtzeitig „Babylon Berlin“.

40 Millionen Euro für neue Produktion

Unter der Regie von Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegten werden die Romane des Kölner Schriftstellers Volker Kutscher um den Kommissar Gereon Rath verfilmt, der Ende der Zwanzigerjahre in der Hauptstadt ermittelt. Es ist ein Projekt von ARD, Sky, X-Filme und Beta Film, das sich an erfolgreichen US-Serien orientiert, die inzwischen den Weltmarkt erobern. Zwei achtteilige Staffeln soll es zunächst geben, die 2017 erst von Sky, ein Jahr später von der ARD gezeigt werden. Produktionskosten: 40 Millionen Euro. Ein so aufwändiges Projekt gab es in Deutschland noch nicht.

Als die Finanzierung gesichert war, wurde endlich mit dem Bau der Straße begonnen. Vier Zeichner haben über drei Monate die Fassaden für das kleine Stadtviertel entworfen. „Wir haben eine Menge Details aus dem Stadtbild zusammengeschnorrt und die Gebäude dann nach diesen Reverenzen alle selber entworfen“, erzählt der Szenenbildner Hanisch, während er durch das nachgebaute Berlin der Zwanzigerjahre führt: durch die Friedrichstraße mit dem Moka Efti; durch Charlottenburg mit großen Skulpturen an den Häuserwänden. Von Kreuzberg geht es über original gepflasterte Straßen mit echten Bordsteinen und Gullys in den armen Wedding. Dreimal so groß wie ihre Vorgängerin ist die Neue Berliner Straße, 40 Einzelfassaden von bis zu 15 Metern Höhe stehen hier, mit 1 000 verschiedenen Styroporprofilen, die mit einem Heißdrahtschneider computergesteuert hergestellt werden und an gewaltige Eisenträger montiert werden, die sieben Meter tief in die Erde gerammt sind. Nach drei Seiten ist das Straßenkarree offen: Das gibt die Möglichkeit, die Filmsets mit sogenannten Greens wie moderne Potemkinsche Dörfer digital zu erweitern.

Ab Ende Juni geht Kommissar Gereon Rath in Babelsberg ins Moka Efti ermitteln. Oder zum Tanz. (mz)

Ein Blick von der Seite offenbart: alles nur Kulisse.
Ein Blick von der Seite offenbart: alles nur Kulisse.
Paulus Ponizak/BZ
Uli Hanisch
Uli Hanisch
Paulus Ponizak/BZ