Filmkritik zu "50 Shades of Grey" Filmkritik zu "50 Shades of Grey" : Zuckerboy und Peitsche

Berlin - Nach dem ersten Mal erwacht sie von einer sanft-melancholischen Melodie. Der junge Mann, mit dem sie gerade die Bettstatt noch teilte, sitzt nun mit nackten Füßen und nacktem Oberkörper an seinem Flügel im Wohnzimmer; das Wohnzimmer ist ein gewaltiger Saal mit einem Fußboden aus Marmor und einem überwältigenden panoramatischen Blick auf die Skyline von Seattle. Die junge Frau wickelt ihren postkoitalen Körper in ein schneeweißes Laken und schreitet dem Pianisten so würdevoll entgegen wie eine römische Liebesgöttin in einer Toga.
Sie könnte recht zufrieden mit der Gesamtsituation sein! Ihr Geliebter kann nämlich nicht nur gut Klavier spielen, er verfügt auch über ausgesprochen niedliche Grübchen an den Mundwinkeln und eine straff definierte Brust-, Bauch- und Rückenmuskulatur, und außerdem ist er Milliardär. Wenn er bloß diese entsetzliche Marotte nicht hätte: Während die Frau im Laken eher auf romantischen Blümchensex steht, hegt der Mann am Klavier ein geradezu zwanghaft zu nennendes Faible für sadomasochistische Spiele, für Fesseln, Schlagen, Ketten, Kitzeln, Klammern und Peitschen und sexuelle Unterwerfung jeglicher Art; in seinem Loft hat er sich ein „Spielzimmer“ mit einem ausgesucht edlen Folterinstrumentarium eingerichtet.
„Fifty Shades of Grey“ von Sam Taylor-Johnson ist die Verfilmung des gleichnamigen ersten Teils der sensationell erfolgreichen Romantrilogie der britischen Autorin E. L. James; am Mittwoch erlebte das Werk seine mit Spannung erwartete Weltpremiere auf der Berlinale. Wie das Buch, erzählt auch der Film die Geschichte der 21-jährigen Literaturstudentin Anastasia Steele (Dakota Johnson), die bei einem Interview für ihre Universitätszeitung den fünf Jahre älteren, märchenhaft reichen Konzernmogul Christian Grey (Jamie Dornan) kennenlernt.
Christian Grey ist dermaßen hot, dass Anastasia sogleich ihre Fassung verliert. Wenn sie ihn anguckt, steht ihr wahlweise der Mund offen oder sie beginnt mit den oberen Vorderzähnen an ihrer Unterlippe zu knabbern; zudem saugen sich ihre Pupillen an seinem alabasternen Körper fest, sodass sie bei ruckartigen Bewegungen zu schielen beginnt.
Überraschenderweise scheint der geile Typ sich für das anfangs in Blümchenbluse und blauer Strickjacke daherkommende Mäuschen zu interessieren. Jedenfalls besucht er sie schon bald in dem Baufachgeschäft, in dem sie jobbt, um sich Kabelbinder zu kaufen – eine Stelle, an der das Publikum in der Pressevorführung kollektiv zu kichern beginnt, denn es weiß ja schon, was Anastasia im Film noch nicht weiß: dass Christian die Kabelbinder nicht zum Kabelverlegen gebraucht, sondern zum Vertauen von Frauen.
„Fifty Shades of Grey“ ist kurzweilig und bunt, und es gibt immer wieder etwas zu kichern. Die Dialoge sind weitgehend originalgetreu aus dem Buch übernommen und daher angenehm simpel; zudem ist alles mit flotten R’n’B-Songs von Jessie Ware, The Weeknd, Sia und Beyoncé unterlegt. Dakota Johnson – die Tochter von Melanie Griffith und Don Johnson – spielt in ihrer ersten größeren Rolle die Wandlung von der dauerstaunenden Jungfer zur souverän sich ins Perverse findenden Frau mit der rechten Mischung aus Leidenschaft und innerer Distanz zu dem ganzen Quatsch. Jamie Dornan wirkt als Christian Grey wie eine Kreuzung aus Justin Timberlake, Robbie Williams und dem aktuellen BDSM-Pornostar James Deen.
Dehnung der Zeit
Hervorzuheben ist auch die Kameraführung durch Seamus McGarvey (bekannt aus „Godzilla“ und „Schweinchen Wilbur und seine Freunde“); es gelingt ihm im Verlauf der gesamten zwei Stunden, sexuelle Akte und Spielereien in allen möglichen Variationen von hinten, vorn, oben, unten und von der Seite zu zeigen, ohne dass ein einziges Mal ein männliches oder weibliches primäres Geschlechtsorgan in den Blick gerät. Immerhin werden ausgiebig erigierte Nippel gezeigt sowie knackige Männerbrüste und Hintern. Dass die Scheide von Anastasia ebenso unsichtbar bleibt wie der Penis von Christian, liegt aber natürlich auch am Schnitt (Lisa Gunning): Immer, wenn etwas zu sehen sein könnte, wird einfach etwas Anderes gezeigt.
Was interessanterweise wiederum dazu führt, dass der Schnitt gerade dann am hektischsten und das Tempo am größten wird, wenn sich das sadomasochistische Begehren am intensivsten entäußert – was der inneren Zeitlichkeit dieses Begehrens prinzipiell widerspricht. Denn beim Sadomasochismus wie bei allen anderen Formen der submissiv-dominanten Sexualität geht es ja wesentlich um die Dehnung der Zeit, um das Wartenlassen und um den endlosen Aufschub der Lusterfüllung – am besten zu studieren in den Urszenen des masochistischen Kinos, jenen Filmen, die Josef von Sternberg Anfang der 1930er-Jahre in den USA mit Marlene Dietrich gedreht hat, von „Morocco“ bis zu „The Devil Is A Woman“. Hier übersetzt der Fetisch der endlosen Versagung sich in eine geradezu surrealistische Ästhetik, in der auch der Wunsch des Betrachters nach eindeutig verstehbaren Bildern und Geschichten lustvoll unbefriedigt bleibt.
Bei „Fifty Shades of Grey“ übersetzt sich hingegen nichts in was anderes, schon gar nicht ein Begehren in eine Ästhetik. Noch an den schmuddeligsten Stellen sind die Bilder so poliert und sauber wie in einer Deodorantenreklame. Und das Unromantische wird konsequent romantisiert: Wenn Christian etwa zu Anastasia sagt „Ich schlafe nicht mit jemandem, ich ficke hart“ oder „Romantik ist nichts für mich“ – dann setzt dazu sogleich eine romantisch schwelgende Musik ein, mit der dem Publikum signalisiert wird, dass diese Frau aus diesem Wüstling irgendwann einen normalen Mann machen wird.
Natürlich erklären sich auch, wie man im Verlauf der Handlung erfährt, die erotischen Vorlieben von Christian nicht aus sich selbst. Er ist vielmehr schwer traumatisiert, weil seine Mutter eine cracksüchtige Prostituierte war; mit vier Jahren wurde er von einer Milliardärin adoptiert; seit er 15 war, wurde er wiederum von einer Freundin von ihr sechs Jahre lang als Sexsklave gehalten.
Das müsste er mal durcharbeiten, findet Anastasia. Will er aber bis auf weiteres nicht. So läuft es am Ende doch wieder darauf hinaus, dass Männer nicht gern reden, ihre Gefühle nicht zeigen und die Frauen nicht an sich ran lassen. Darunter leiden die Frauen dann viel mehr als unter gelegentlichem Gefesselt- und Ausgepeitschtwerden.
Fifty Shades of Grey ab 12.2.2015 im Kino.
