Filmfestival in Karlovy Vary Filmfestival in Karlovy Vary: Fluss des Lebens

karlovy vary/MZ - Für den Hauch von Hollywood ist in diesem Jahr Mel Gibson zuständig. Der Schauspieler blickt ernst von großen Plakaten im tschechischen Karlovy Vary, das wir auch Karlsbad nennen. Gibson, der wegen seines blutigen Historienschinkens über das Leiden Christi zu Recht ästhetisch umstritten ist, hat am Wochenende zur Eröffnung der Filmfestspiele den Ehrenpreis für seine Verdienste um das Weltkino bekommen.
Warum auch nicht, der Kristallglobus von Karlovy Vary strahlt eben um so heller, wenn er von einem Star in die Kameras gehalten wird - und lässt damit auch das Festival noch kräftiger leuchten.
Großes, episches Kino
Für den Glanz sind freilich vor allen die Filme zuständig, darunter auch einer im offiziellen Wettbewerb, der von der halleschen Firma 42film koproduziert und von der Mitteldeutschen Medienförderung unterstützt wurde: „Corn Island“ des georgischen Regisseurs George Ovashvili belohnt Geldgeber wie Zuschauer mit großem, epischem Kino. Zur Weltpremiere am Mittwochabend hat es denn auch starken Applaus im Grand Saal des Hotels „Thermal“ gegeben, das als Zentrum des Festivals fungiert. So ist es praktisch und kompakt im Herzen Karlsbads etabliert, nicht zum Nachteil für die Stadt, im Gegenteil.
Der berühmte Badeort lebt regelrecht auf und schmückt sich mit dem bunten Filmvolk aus aller Welt. Das schwatzt und lacht und flaniert und diskutiert, was das Zeug hält. Gegessen und getrunken wird natürlich auch, aus vielen Boxen klopfen Elektrosounds den Rhythmus der Neuzeit dazu. Und an schillernder Halbwelt, glatzköpfigen Muskelmännern in stramm sitzenden Anzügen und hübsch zurechtgemachten Frauen herrscht ebenfalls kein Mangel im Revier. Mancher Jungstar kippt vor angestrengter Lässigkeit fast aus den scharfen High-Heel-Latschen.
Karlovy Vary zeigt sich von seiner besten Seite
Es ist rührend schön in Karlovy Vary, gut geführte Restaurants gibt es und charmante Cafés. Nur fehlt es vielen Einheimischen ersichtlich am nötigen Kleingeld, um all der Freuden auch teilhaftig zu werden. Dafür haben deutsche Drogerieketten, zahlungskräftige russische Touristen, amerikanische Bulettenwärmer und die allgegenwärtigen Verticker des globalen Mobiltelefon-Glücks die Stadt längst eingenommen. Gleichwohl: Noch sieht sie sich ähnlich, man zehrt von der Substanz, zu der das Filmfest nicht wenig beisteuert.
Welchen Anteil ein Hallenser am Film hat, erfahren Sie auf Seite 2.
George Ovashvilis kraftvollen, poetischen Beitrag „Corn Island“ zum Beispiel, den Eike Goreczka von 42film aus Halle mitproduziert hat. Vor vier Jahren hat er den jungen Georgier, der mit seinem ersten, 2009 gedrehten Film „The Other Bank“ rasch bekannt geworden war, bei einem Festival in Belgien kennengelernt.
Die beiden mochten sich, rasch kamen sie überein, Ovashvilis neues Projekt gemeinsam anzugehen. Daraus ist eine Produktion entstanden, die von Partnern aus Georgien, Frankreich, Kasachstan und Deutschland getragen wurde, das Team war noch bunter: „Am Drehort in Georgien wehten 14 Flaggen“, sagt Goreczka, darunter auch die des Iran und Israels. Man kann dabei auf die Frage kommen, warum Künstlern gelingt, was sonst so unendlich schwer zu sein scheint: Toleranz zu üben und freundschaftlich miteinander umzugehen, über politische, ethnische oder religiöse Grenzen hinweg.
Von Grenzen und Grenzerfahrungen erzählt nun auch „Corn Island“. Man braucht fünf Minuten um zu begreifen, dass hier quasi in Echtzeit operiert wird - und dass man sich auf diese Entschleunigung einlassen darf. Nach weiteren fünf Minuten verfliegt auch die Sorge, die Spannung könnte nicht halten. Sie hält. 100 Minuten lang.
Erzählt wird von einem alten Georgier und seiner Enkelin, die gemeinsam eine Insel im Niemandsland urbar machen, gelegen im Grenzfluss zwischen Georgien und dem abtrünnigen Abchasien. Manchmal tauchen Patrouillenboote beider verfeindeten Seiten auf. Manchmal hört man Schüsse aus den Wäldern. Und es wird fast gar nicht gesprochen.
Francesco Rosis „Christus kam nur bis Eboli“ fällt einem unwillkürlich ein, ein Klassiker des Bilderkinos. Auch in „Corn Island“ wird von urwüchsiger, unberechenbarer Natur, von Armut, Entbehrung, erlahmender Kraft und Stolz erzählt. Und von einen Teenager, der sich seines Frauseins bewusst wird. Der Fluss des Lebens ist es, den Ovashvili in Bilder setzt, die man nicht vergessen wird.
