Film Film: Wie ist es, wenn eine Mutter ihr Kind nicht liebt?

Berlin/dpa. - Wasgeht in so einer Frau vor? Warum hat sie kein Interesse an ihremKind? Genau so eine Mutter steht nun im Mittelpunkt des Films «DasFremde in mir». Die Berliner Regisseurin Emily Atef beobachtet darindie Mutter Rebecca, die an einer Wochenbettdepression leidet undimmer mehr zu einer Gefahr für ihren kleinen Sohn wird. Bei seinerPremiere auf dem Filmfest in Cannes wurde der Film vom Publikumstürmisch gefeiert, beim Oldenburger Festival bekam er gleich dreiHauptpreise.
Die Krise kommt schleichend und für den Rest der Familie zunächstvöllig unbemerkt. Eigentlich hatte sich die 32-jährige Rebecca(Wolff) ja auch auf ihr erstes Kind gefreut. Zusammen mit ihremPartner Julian (Johann von Bülow) baut sie die Wohnung um und stelltdas Kinderbett auf. Doch als Lukas dann endlich da ist, ist Rebeccanicht so richtig zum Jubeln zumute. Der Kleine ist ihr fremd, seineBerührungen beim Stillen schrecken sie ab und sein Schreien lässt sievöllig kalt.
«Mich hat die Tatsache interessiert, dass die Mutter eine sowichtige Rolle im menschlichen Leben spielt und wir alle aufwachsenmit der Idee, dass die Beziehung zwischen Mutter und Kindausschließlich von großer Liebe geprägt ist», erklärt RegisseurinAtef, Tochter französisch-iranischer Eltern, die Ausgangsidee zuihrem zweiten Langfilm. «Wenn sich dieses Gefühl aber nichteinstellt, fühlt sich die Frau nicht mehr als Mensch, sie hasst sichselber und schließlich auch ihr Kind.»
Eigentlich sei nur ein Kurzfilm zu dem Thema geplant gewesen, dochdann seien die Recherchen so faszinierend gewesen, dass sie sich füreinen langen Film entschieden habe. «Immerhin sind zehn bis zwanzigProzent aller Mütter allein in Deutschland von diesem Problembetroffen», sagt Atef. «Doch es ist noch immer ein großes Tabuthema.»
Ihr einfühlsames Drama «Das Fremde in mir» bringt dieses Tabu nunzur Sprache. Dafür benötigt Regisseurin Atef keine plakativen Motive,stattdessen vertraut sie eher stillen Bildern. So beobachtet sieRebecca beispielsweise, wie diese etwas hilflos danebensteht, währendPartner Julian oder die frisch gebackene Oma (Maren Kroymann)herzlich mit dem Baby knuddeln.
Dabei beherrscht Rebeccas innere Leere fast alle Szenen -schließlich gelingt es Schauspielerin Wolff, die Verlorenheit undEinsamkeit ihrer Figur beängstigend real darzustellen und spürbarwerden zu lassen. Für ihre Leistung wurde Susanne Wolff - Mitglied imEnsemble des Hamburger Thalia-Theaters - daher auch schon zu Rechtmit dem Förderpreis Deutscher Film als beste Hauptdarstellerinausgezeichnet.
Doch irgendwann kann Rebecca die Fassade nicht mehraufrechterhalten. In einer bedrückenden Szene, in der sie Lukas beimBaden fast ertränkt, realisiert die Mutter, dass sie Hilfe braucht.Doch während sie zusammenbricht und erst langsam wieder zu sichselbst finden muss, reagiert die Umwelt erst einmal mit völligemEntsetzen.
Während Julian seine Freundin und die Welt nicht mehr versteht undneben dem Job plötzlich auch noch voll für seinen Sohn da sein muss,brechen mit seinen Eltern alte Machtkonflikte wieder auf. Es istschmerzhaft zu sehen, wie Rebecca alleine zwischen den Fronten stehtund gar nicht weiß, wie ihr geschieht. Doch mit der Zeit und mitHilfe einer Therapie findet sie zu sich zurück. Schließlich wächstauch in ihr die Sehnsucht, ihren kleinen Sohn wieder im Arm halten zukönnen. Mit diesem dramatischen Frauenporträt ist «Das Fremde in mir»sicherlich einer der Höhepunkte des deutschen Kinoherbstes.