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"Figur wie aus dem Märchen"  "Figur wie aus dem Märchen" : Das Leben von DDR-Liedermacher Gerhard Gundermann

Von Steffen Könau 22.08.2018, 10:00

Jena - So leise können 2.000 Menschen sein, dass schon ein umfallender Bierbecher wie ein Erdbeben durch die Kulturarena in Jena dröhnt. Filmpremiere für „Gundermann“, das Zwei-Stunden-Epos über Leben und Lieben des in Thüringen geborenen Liedermachers Gerhard Gundermann.

Kein Kopf dreht sich weg von der Leinwand, auf der die Hauptperson gerade durch ihre Riesenbrille blinzelt und von einem Bagger singt, der in der Heide stirbt. Gundermann sieht aus wie Gundermann, er klingt wie Gundermann, er schnieft wie Gundermann. Aber der Mann da oben, Fleischerhemd, Brille und dünner Blondhaarzopf am Hinterkopf, heißt Alexander Scheer, er ist Schauspieler und er spielt und singt gerade die Rolle seines Lebens.

Gerhard Gundermann starb mit 43 Jahren an einem Hirnschlag

„Ich habe meinen Vater so lange nicht gesehen“, hat Gundermanns Tochter Linda gesagt, als sie Scheer bei den Dreharbeiten sah. Conny Gundermann, die Witwe des vor 20 Jahren mit nur 43 Jahren an einem Hirnschlag verstorbenen Sängers, gab Scheer nach Wochen des Beschnupperns die alte Gitarre, mit der ihr Mann durch die Lande gefahren war. „Mehr Vertrauen geht nicht“, sagt Scheer.

Und viel mehr ist auch nicht da. Gundermanns altes Fleischerhemd hat seine Frau verschenkt, aus dem Haus in Hoyerswerda ist sie ausgezogen. Erinnerungen seien kein Stück Stoff, sagt sie. „Gundi“, wie ihn alle nannten, lebt in seinen Liedern weiter, Liedern aus Tränen und Lachen, Balladen aus der Braunkohlewüste in der Lausitz, wo der mit 18 von der Offiziersschule geflogene Hobbymusiker als Hilfsarbeiter und Förderbrückenführer gearbeitet hat.

Regisseur Andreas Dresen: Gerhard Gundermann ist „Figur wie aus dem Märchen“

Eine Figur wie aus dem Märchen, sagt Regisseur Andreas Dresen. Gundermann stand mit einem Bein auf der Bühne, mit dem anderen im Tagebau. Vom Vater verlassen, träumt er sich als Kind in ein Leben als kommunistischer Kundschafter. Er will die Welt verbessern, er will aber auch lieben ohne Kompromiss, jedenfalls ohne einen, den er selbst eingehen muss.

Gundermann tritt in die SED ein und er wird wieder ausgeschlossen. Er unterschreibt als Stasi-IM „Grigori“ und wird selbst von der Stasi bespitzelt. Sechs Jahre Auftrittsverbote, Westreisesperre und ein abgehörtes Telefon. Er ist Landschaftsvernichter und Umweltschützer, Kumpel und Künstler, schreibt Lieder für Silly, spielt abends Konzerte und fährt danach direkt zur Frühschicht. Keiner wie alle. Keiner für alle. Ein Dickkopf, Quertreiber und eigensinniger Verweigerer von Gleichschritt in Straßenmitte.

„Ich gehöre zu den Verlierern“, diktiert er eines Tages auf seinem Bagger in ein kleines Diktiergerät, „ich habe auf das richtige Pferd gesetzt, aber das Pferd hat nicht gewonnen.“ Ein Mann voller Widersprüche, der den ebenfalls aus Thüringen stammenden Andreas Dresen durch sein halbes Leben begleitet hat, wie er sagt.

Gerhard Gundermanns Geschichte ist auch erzählenswert

Es braucht Geld für so einen Film, Geld, das lange niemand geben wollte. „Wäre es um Rio Reiser gegangen, hätten wir es leichter gehabt“, sagt Produzent Peter Hartwig, der während der Dreharbeiten in einem zugigen Zelt in Ferropolis steht. Unter einem der rostigen Bagger singt Alexander Scheer gerade von „Brigitta“, seiner Grube, die nun pleite ist.

Dresen winkt Komparsen durch den Nieselregen. Noch einmal. Licht. Ton. Ab. Es ärgert den Regisseur, dass man sich „als Ostdeutscher dafür rechtfertigen muss, wenn man über seine eigene Biografie erzählen will“, sagt er. Aber „nur weil Leute Gundermann nicht kennen, muss das nicht bedeuten, dass die Geschichte nicht erzählenswert ist.“ Hartwig nickt.

Das Gegenteil ist richtig. Gundi und Conny, das ist wie Johnny und June Carter Cash. Liebe und Leid. Enttäuschung und Magnetismus. Im Dessauer Lokal „An der Biethe“ spielen sie später einen der Schlüsselsongs des Filmes ein, der natürlich auch ein Musikfilm ist: Anna Unterberger, die die Conny Gundermann spielt, tanzt mit Scheer „ihren Namen in den Stein“, wie es im Text heißt.

Gerhard Gundermann und der rote Stasi-Faden

Einer der romantischen Momente einer Geschichte, die Gundermanns Leben entlang des roten Stasi-Fadens erzählt: In einer DDR-Endzeit-Deko sucht der Sänger nach der Wahrheit über sich selbst und verdrängten Erinnerungen. „Ich bin enttäuscht von mir selbst“, sagt der Film-Gundi, den Drehbuch-Autorin Laila Stieler nach Erzählungen von Freunden und Wegbegleitern, vor allem aber nach den Erinnerungen von Conny Gundermann geformt hat.

Es ist ein Typ, der nicht als Vorlage für eine Heldengeschichte taugt - und genau das war es, was Dresen reizte. „Er hat von sich gesungen, mit Kraft und Poesie“, sagt der Grimme-Preisträger, „und dazu dieser Lebensweg mit seinen Brüchen und Wendungen...“ Irgendwann hat das auch Filmförderer überzeugt und Dresen konnte mit den Dreharbeiten beginnen, die in Gräfenhainichen, Halle, in der Lausitz und im Ruhrgebiet stattfanden. Dort, schmunzelt Peter Hartwig, habe man Straßen gefunden, „die heute noch aussehen wie Hoyerswerda vor der Wende“.

Durch diese Landschaften stapft Alexander Scheer wie ein Zeitreisender. 1976, als der Schauspieler in Ostberlin geboren wurde, unterschrieb Gundi gerade bei der Stasi, die ihn als „ehrlich und zuverlässig“ lobt und mit einer Obstschale auszeichnet. Später, Scheer kommt gerade in die Schule, notiert die Stasi zu Gundermann: Der IM zitiere Marx und Lenin, lehne aber die Rolle der Partei ab. „Wegen parteifeindlicher Verhaltensweisen“, heißt es in der Akte „Grigori“, sei eine weitere Zusammenarbeit nicht möglich.

35 Jahre später, der Künstler selbst ist schon seit 20 Jahren tot, singt die ganze Kulturarena das Stück „Gras“ mit, in dem es heißt „Immer wieder wächst das Gras / klammert all die Wunden zu / manchmal stark und manchmal blass / so wie ich und du“. Andreas Dresen steht lächelnd vor dem Chor, ein Finger zeigt nach oben in den wolkenlosen Jenaer Himmel. „Wenn einem Künstler das gelingt“, ruft er, „dann hat er was geschafft!“

››Gundermann startet am Donnerstag, unter anderem im Puschkino Halle und im Cinestar Leipzig. www.gundermann-derfilm.de

Gerhard Gundermann Ende der 80er Jahre bei einem Soloauftritt in Halle. Andreas Dresen und Gundermann-Darsteller Alexander Scheer (u.).
Gerhard Gundermann Ende der 80er Jahre bei einem Soloauftritt in Halle. Andreas Dresen und Gundermann-Darsteller Alexander Scheer (u.).
S. Könau, Peter Hartwig
Andreas Dresen und Gundermann-Darsteller Alexander Scheer.
Andreas Dresen und Gundermann-Darsteller Alexander Scheer.
S. Könau, Peter Hartwig