Fidel Castro wird 90 Fidel Castro wird 90: Der Maximo Líder ist der letzte große Revolutionär

Auf den Straßen draußen im Land hat die Revolution eine Plastiktüte auf dem Kopf. Das passiert, wenn es regnet über Matanzas, der Zentralprovinz Kubas. Und die Menschen, die von den Feldern und aus den Fabriken kilometerweit nach Hause laufen müssen, weil es kaum private Autos gibt, keine Busse fahren und alle Lastwagen immer voll sind, krumme Rücken und nasse, leere Gesichter haben.
Antlitz einer Revolution im 57. Jahr
Das Antlitz einer Revolution im 57. Jahr. Drinnen im Saal hält Fidel Castro zuweilen noch Hof, der Erfinder und Kopf des modernen Kuba, der über Jahrzehnte nur im tarngrünen Drillichanzug auftrat, eine Zigarre im Gesicht. Castro, der am 13. August offiziell 90 Jahre alt wird, obwohl er tatsächlich erst seinen 89. Geburtstag feiert, ist vor zehn Jahren von seinen Posten als Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Präsident von Staatsrat und Regierung zurückgetreten. Vorläufig, wie es damals hieß. Bei den seltenen Gelegenheiten, zu denen er sich noch öffentlich sehen lässt, trägt er nun mit Vorliebe Trainingsanzüge des deutschen Herstellers Adidas.
Es ist wie ein Symbol einer schleichenden Rückeroberung, die zuletzt durch den Besuch von US-Präsident Barack Obama und der Rockband Rolling Stones bebildert wurde. Fidel Castro ist ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems der Letzte der alten kommunistischen Polit-Potentaten, asketisch schlank und mit den eckigen Bewegungen eines Mannes, der sich zusehends Mühe geben muss, straff und taff zu wirken. Er gleicht darin Kuba: Von Aufbruchstimmung ist nichts mehr zu spüren im Kuba dieser Tage. Der Kapitalismus, vor Jahrzehnten aus dem Land geworfen, ist zurück. Und der von allen Verbündeten verlassene karibische Vorposten des Weltkommunismus gleicht nun nur noch einer Burg, deren müde Besatzung sehnlichst auf den letzten Sturmangriff der Belagerer wartet.
Feind mit seiner schierer Präsenz auf Distanz gehalten
Fast fünf Jahrzehnte lang hat Fidel Castro, selbst ernannter Máximo Líder des Inselstaates, den Feind mit seiner schieren Präsenz auf Distanz gehalten. Seit der uneheliche Sohn eines Zuckerrohrplantagenbesitzers im Jahr 1959 nach dreijährigem Kampf den Sieg der von ihm gegründeten „Bewegung des 26. Juli“ über Diktator Batista verkünden konnte, war Castro Kuba. Ursprünglich hatte der ehemalige Jesuitenzögling und studierte Rechtsanwalt zwar angekündigt, nach dem Sieg der Revolution wolle er nicht an die Macht, sondern sich ins Privatleben zurückziehen. Doch als es so weit war, entpuppte sich Castro, der schon mit 13 versucht hatte, die Plantagenarbeiter seines Vater zu einem Streik anzustacheln, als genialer Machtpolitiker. Er wurde Regierungschef, überlebte Attentate von US-Geheimdiensten und Verschwörungen moskautreuer Kommunisten. Er stellte sämtliche politische Konkurrenten kalt, ließ Kritiker zu Hunderten einsperren, aus dem Land treiben oder töten und wandelte sich nebenbei vom linksbürgerlichen Nationalisten zum unorthodoxen Marxisten mit einem Herzen für internationale Solidarität mit Befreiungsbewegungen aller Art. Kein anderes Land versuchte so konsequent wie Kuba, die eigene Revolution zu exportieren: Ging Che Guevara noch halbprivat auf seine Guerilla-Mission nach Bolivien, schickte Castro bis zu 50 000 Soldaten nach Angola, die dort im Rahmen der „Operation Carlota“ kämpften und dann über Jahrzehnte stationiert blieben.
Sein Kuba führte Castro wie einst sein Vater die Plantage. Seit 1976 war er nicht nur Staatspräsident und Chef der Kommunistischen Partei, sondern auch Staatsratsvorsitzender, Ministerratschef und Oberbefehlshaber der Armee. Fidel Castro regierte seine Volksdemokratie als König der Karibik: Die Leitlinien der Politik bestimmte er allein, echte Wahlen hat es nie gegeben, und wer ihm in die Quere kam, musste gehen wie sein Freund Che Guevara, der weiter an die chinesische Idee vom Sozialismus glauben wollte, als der Taktiker Castro schon mit Moskau handelseinig geworden war.
Die Welt an den Abgrund eines Atomkrieges geführt
Sein Deal mit Chruschtschow hat die Welt seinerzeit an den Abgrund eines Atomkrieges geführt, aber Castros Hauptinteresse war ja auch nicht dessen Vermeidung, sondern der Schutz der jungen kubanischen Revolution. Die galt in jenen Jahren als Speerspitze des Sozialismus in Südamerika, ein Beispiel, das auch nach Ansicht der USA auf Nachbarländer ausstrahlte und deshalb bekämpft gehörte. 54 Jahre lang hat der Nachbar 150 Kilometer nördlich ein Embargo gegen Kuba aufrechterhalten, das Castro zum Einlenken zwingen sollte. Es lieferte ihm stattdessen Ausreden, denn an der wirtschaftlichen Misere des Landes waren nun nie mehr eigene Fehlleistungen und die mittlerweile von der Armee dominierte Kommandowirtschaft schuld. Sondern die Amerikaner mit ihrem Boykott. Sich selbst hat der Uniformliebhaber mit dem inzwischen schütteren Vollbart dabei stets als asketische Kämpferfigur inszeniert. Gefürchtet waren seine drei oder auch vier Stunden langen Steggreif-Reden, in denen Castro vom Stöckchen aufs Steinchen argumentierte und die Welträtsel erklärte, die er selbst nie verstanden hat. Ein Hang, von dem er auch als Greis - Castros einziger öffentlicher Posten ist derzeit noch ein Abgeordnetenmandat - nicht lassen kann. Zuletzt etwa erklärte er Osama bin Laden zum CIA-Agenten und die alljährlich tagende Elitenversammlung Bilderberg-Gruppe zur Weltverschwörung, die Hitler, die Nato, die Rockmusik und die Drogen erfunden habe. Zugleich gibt Fidel Castro den aufrechten Visionär: „Ich glaube weiterhin fest daran, dass eine bessere Welt möglich ist.“
Das Verhältnis der Kubaner zu diesem irrlichternden Mann ist ein zwiegespaltenes. Einerseits sammelte der Revolutionsführer nie Reichtümer - während der Landreform enteignete er sogar seine Mutter. Andererseits ist sein Ideal davon, wie Kuba sein sollte, längst nur noch das einer Minderheit. Sein Bruder Raúl, über Nacht inthronisiert, als Fidel Castro vor zehn Jahren glaubte, während einer schweren Darmerkrankung sein Erbe ordnen zu müssen, verwaltet eher, als dass er neugestaltet. Er will in zwei Jahren abtreten. Doch sein möglicher Nachfolger Miguel Mario Díaz-Canel Bermúdez, heute noch Vize-Präsident, garantiert auch keinen Aufbruch: Der Hoffnungsträger mit der Bilderbuchkarriere wäre zwar der erste kubanische Staats- und Parteichef, der nicht im Guerillakampf gestählt ist. Doch Díaz-Canel Bermúdez ist auch schon 68 Jahre alt, wenn er sein Amt antritt.

