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Festival in Jerichow  Festival im Kloster Jerichow: Jazz im Kloster? Aber ja!

Von Andreas Montag 19.08.2019, 09:19
Konzert vor der Klosterkirche: Till Brönner und Dieter Ilg
Konzert vor der Klosterkirche: Till Brönner und Dieter Ilg Andreas Lander

Jerichow - Jazz kann man überall spielen - im Saal, im Freien, auf großen, etablierten Bühnen, im kleinen Rahmen und gern an ungewöhnlichen Orten. Also auch in einem Kloster, selbstverständlich. Aber in Jerichow, von dessen genauer Lage nicht jeder eine präzise Vorstellung hat? Doch, das funktioniert, wie sich am Wochenende gezeigt hat - zur Freude der Musiker, des Publikums und nicht zuletzt des künstlerischen Leiters Marco Reiß. Er hat das erstmals im und am Kloster Jerichow veranstaltete Festival auf die Beine gestellt.

Die Anregung dafür geht auf das Konto von Tilman Tögel. Der im April 59-jährig verstorbene Stendaler SPD-Politiker und langjährige Abgeordnete des Landtages von Sachsen-Anhalt war Vorsitzender der Stiftung Kloster Jerichow. Und einer, der nicht nur gute Ideen hatte, sondern sie auch umsetzen wollte. Vor Jahren hatte er eine Aktie daran, dass der Deutschrock-Star Herbert Grönemeyer beim vielleicht ungewöhnlichsten Auftritt seiner Karriere im Fachklinikum für Psychiatrie in Uchtspringe bei Stendal gastierte. Und dann sollte es Jazz in Jerichow sein. Den Erfolg seiner Idee hat Tilman Tögel nicht mehr erleben können, das Festival ist ihm posthum gewidmet worden.

Ein mutiger Plan

Mutig war der Plan allerdings. Jerichow, in der Nähe von Genthin, Tangermünde und Havelberg gelegen, ist zwar ein zauberhafter Ort, auch gibt das fast 900 Jahre alte Kloster mit den Zwillingstürmen der Stiftskirche St. Marien und St. Nikolaus eine prächtige Backsteinkulisse ab. Aber man muss sich trotzdem erst einmal entschließen, dorthin zu fahren.

Doch alle Bedenken erwiesen sich zum Glück als unbegründet. Schon am Freitag, zur Eröffnung des Festivals mit dem von Ansgar Striepens geleiteten, famos musizierenden Jugendjazzorchester Sachsen-Anhalts, fiel der Zuspruch bei prachtvollem Wetter mehr als ermutigend aus. Und am Samstag, als unter anderem der Trompeter Till Brönner und der Bassist Dieter Ilg spielten, wurden allein bei diesem Konzert 800 Besucher gezählt. Was will man mehr? Am Sonntag stand schließlich ein Jazzgottesdienst auf dem Programm. Bezwingend logisch, wenn man einer Kirche schon mal so nah gekommen ist.

Marco Reiß, der Organisator des Festivals, sah sich jedenfalls bestätigt mit seinem Konzept: „Mir kommt es darauf an, nicht nur Stars zu holen, sondern das Festival auch in der Region zu verankern.“ Aus diesem Grund hat Reiß neben dem Jugendjazzorchester, der offiziellen Bigband des Landes, auch junge Musikerinnen und Musiker aus Stendal nach Jerichow eingeladen.

Musikalische Grenzgängerei

Für Reiß, der im Hauptberuf Geiger in der Magdeburgischen Philharmonie ist und „nebenbei“ dem Rossini-Quartett vorsteht, stellt der Ausflug ins Kloster Jerichow nicht die erste musikalisch-soziokulturelle Grenzgängerei dar. Mit der „Telemania 2017“ hat er bereits Erfahrungen darin gesammelt, wie man neue Spielorte entdecken und breite Publikumsschichten für Musik begeistern kann. Es macht ihm offenkundig Freude, so etwas anzuzetteln, man sieht ihm das direkt an.

Der Erfolg einer Unternehmung wie in Jerichow hängt eben nicht nur vom organisatorischen Geschick, sondern wesentlich davon ab, ob das Ganze auch Charme zu entwickeln vermag. Das ist hier gelungen. Reiß in Person steht dafür, der Ort sowieso. Aber auch das Publikum und die Künstler tragen dazu bei. Steht man dann im Dreieck zwischen Bühne, Wurst- und Getränkekiosk, kann es passieren, dass man Gelegenheit bekommt, Raphael Haeger die Hand zu schütteln, der eben über die Wiese spaziert.

Haeger ist Schlagzeuger bei den Berliner Philharmonikern. Gemeinsam mit Kollegen aus dem berühmten Orchester spielt er zudem in einer nicht minder großartigen Band, die stilistisch zwischen Jazz und moderner Kammermusik siedelt: Bolero Berlin. Diese Formation, in der Haeger übrigens nicht als Drummer, sondern als Pianist zu erleben ist, hat den Freitagabend mit Walzer und Tango abgeschlossen. Schöner geht es nicht. (mz)

Berliner Philharmoniker spielen in der Formation Bolero Berlin.
Berliner Philharmoniker spielen in der Formation Bolero Berlin.
Andreas Lander
Musiker des Jugendjazzorchesters Sachsen-Anhalt
Musiker des Jugendjazzorchesters Sachsen-Anhalt
 Foto: Andreas Lander