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Fesselnde Stories von Claire Keegan

Von Thomas Borchert 21.04.2008, 10:43

Göttingen/dpa. - Claire Keegan hat zum zweiten Mal eine Sammlung fantastischer und fesselnder Erzählungen aus ihrer irischen Heimat vorgelegt. Ein Priester, der seine frühere Geliebte trauen muss und das Hochzeitsfest einsam verlässt.

Ein Bruder, der seine Schwester nie vor Missbrauch vor dem Vater schützen konnte und sie nun vor der Übersiedlung in die USA verabschieden muss. Eine Frau, die kurz vor dem vierzigsten Geburtstag den alles andere als anziehenden Nachbarn verführt, weil sie doch noch mal ein Kind haben möchte. Sie lernt ihn als Partner und Vater schätzen und verlässt ihn doch am Ende, ohne selbst ihr Ziel zu kennen.

Typische Ereignisse im ländlichen Leben von Keegans Figuren. Wie schon in «Wo das Wasser am tiefsten ist» (2004) erzeugt die 1968 geborene Irin auch in «Durch die blauen Felder» wieder auf fast jeder Seite erzählerische Magie. Es geschieht selten, dass jemand in so völlig klare, gewollt anspruchslos wirkende und dabei poetische Sprache fassen kann, wie sich unscheinbar wirkende Menschen mit explosiven Gefühlen und Gedanken durch ihr Leben bewegen.

Immer ist bei Keegan viel Verdrängung vor und nach allerlei Katastrophen mit Langzeitwirkung im Spiel. Martha, die Frau des Försters, will ihren ungeliebten und ungehobelten Mann, die drei Kinder und den Hof am nächsten Tag ganz bestimmt verlassen. Sie zählt noch einmal das Geld, das sie heimlich vom Haushaltsgeld abgezwackt und in einen Kleidersaum eingenäht hat. Aber eine leichte Grippe kommt dazwischen.

So brilliert die Unglückliche beim nächsten Geburtstag des Mannes vor den Dorfnachbarn wieder als Geschichtenerzählerin. Dabei gibt sie praktisch unverhüllt wieder, wie ihre Tochter beim Besuch eines Handelsreisenden zustande gekommen ist. Der schien viel gefühlvoller zu sein als der Ehemann. Am Ende der Geschichte stehen der Förster und Martha vor den Trümmern ihres abgebrannten Hofes und sagen einander zum ersten Mal in zwanzig Jahren Ehe direkt, was sie im Innersten bewegt. Sie bleiben beieinander.

In «Die Tochter des Försters» entfaltet Keegan auf knapp 50 Seiten meisterhaft zeitlos, völlig glaubhaft und immer offen für unentwirrbare Widersprüche, wie Menschen in einem Familienzusammenhang grausam, egoistisch und trotzdem zu Liebe fähige Wesen sein können. Claire Keegan schreibt mit derselben Grundhaltung, die sie der erzählenden Martha zuschreibt: «Sie weiß nur, dass die Geschichte greifbar vor liegt, dass sie die Worte nur zu finden und zusammenzuharken braucht.»

Keegan stellt auch das irische Ferienhaus von Heinrich Böll vor, das sie mehrfach für einsame Schreibaufenthalte nutzen konnte. Ein pensionierter Germanist, Irland-Tourist und neugieriger Fan des 1985 gestorbenen Nobelpreisträgers kommt gar nicht gut weg in dieser Geschichte. «Um sieben Uhr verspürte sie einen starken Drang zu schreiben, sagte sich aber, dass sie es des Deutschen wegen unterlassen musste.» Man kann für den Roman dieser einzigartigen Geschichtenerzählerin nur hoffen, dass nicht allzu oft aufdringliche Böll-Landsleute geklingelt haben.

Claire Keegan

Durch die blauen Felder

Erzählungen

Steidl Verlag Göttingen

192 Seiten, Euro 16,00

ISBN 978-3-86521-664-9