Ewald von Kleist Ewald von Kleist: Sein Werk ist fast vergessen, sein Tod ist legendär
FRANKFURT (ODER)/MZ - Da ist der märkischeFlecken Kunersdorf, am Westrand des Oderbruchsgelegen, in dem Adelbert von Chamisso alsSchlossgast 1813 "Peter Schlemihls wundersameGeschichte" verfasste. Und da ist das neumärkischeKunersdorf, östlich der Oder gelegen, in demvor 250 Jahren der Dichter Ewald von Kleistim Zuge der Schlacht von Kunersdorf tödlichverwundet wurde. In einem Gemetzel, in demdie Preußentruppen von einer russisch-österreichischenArmee vernichtet wurden: Von den 49 000 Preußenblieben 19 000 tot oder verwundet auf demSchlachtfeld.
Viel Zeit ist seither ins Land gegangen: 1945hat das märkische Kunersdorf sein Schlossverloren; nur der Park liegt noch da, grünund verschlafen, ein Stein erinnert an Chamisso.Das neumärkische Kunersdorf heißt heute Kunowiceund ist ein Ortsteil der polnischen StadtSlubice, der alten Vorstadt von Frankfurt.60 Kilometer trennen das westliche vom östlichenKunersdorf, das sechs Kilometer hinter Frankfurtliegt. Am Rand des Schlachtfeldes liegen dieziegelroten Trümmer des Kleistturmes von 1892,den die Wehrmacht 1945 auf ihrem Rückzug sprengte.
Preußen aber bleibt der kulturelle Nenner,der das westliche mit dem östlichen Kunersdorfverbindet. Und die Frage, wie man als Künstlereinst mit dem Kunststaat Preußen leben sollte.Das poetische Träumen und agrarische Werkelnauf einem Chamisso-freundlichen Landsitz hättedem 1715 geborenen Ewald von Kleist auch gefallen.Allein seine Familie, die ein Gut bei Köslinin Pommern betrieb, verfügte über nur wenigMittel. Der studierte Jurist hatte auf Drängendes Vaters erst in die dänische, nach demRegierungsantritt Friedrich II. in die preußischeArmee einzutreten. Auch wenn Kleist die allgemeineBegeisterung für den Preußenkönig teilte:Der Gang ins Militär war und blieb der Notgeschuldet.
Und es wirkte nicht nur eine äußere Not: Ewald,der ein entfernter Onkel des Dichters Heinrichvon Kleist war, begriff sich selbst als Melancholikerund Hypochonder. Seine Vorgesetzten hieltenihn für einen "schwachen Menschen und Soldaten",wie Lothar Jordan, Wissenschaftlicher Leiterdes Kleist-Museums in Frankfurt, in seinemals Frankfurter "Buntbuch" veröffentlichtenAufsatz "Mars und Musen" schreibt - ein insachlicher und gestalterischer Hinsicht vorbildlicheskleines Werk. Unter den Offizierskollegenhatte Kleist nur wenig Freunde, denn "unterOfficiers ist es eine Art von Schande, einDichter zu sein". Ein Dichter war dieser Kleistseit er von seinem engsten Freund, dem HalberstädterDom-Sekretär Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803),durch den Vortrag eines humorigen Gedichtesderart zum Lachen gebracht wurde, dass sichvon seiner Hand ein Verband löste, unter demsich eine lebensgefährliche Entzündung zuentwickeln begann: Hier rettete Literaturdas Leben.
Das Leben aber ging über Kleists Literaturhinweg, nur noch Historikern ist er ein Begriff.Gerhard Wolf hatte Recht, als er 1982 im Nachwortseiner im "Märkischen Dichtergarten" vorgenommenenKleist-Auswahl schrieb: "Sein Schicksal istLegende, seine Dichtung nahezu unbekannt."Die Dichtung, das ist vor allem das Langgedicht"Der Frühling" (1749): ein mit Reflexionenangereicherter Gang durch die Natur, der dieseendlich einmal nicht mehr nur allegorisch,sondern sinnlich-frisch in den Blick nahm;ein Werk, das poesiehistorisch Epoche machte.
Kleist, das ist ein Leben zwischen Traumund Tat, zwischen den Ansprüchen des Subjektesund den Forderungen des Staates; das ist eineLiteratur, die heute ein erstaunliches kultur-und mentalitätsgeschichtliches Potenzial aufweist.Kleist, der zum Leben in der Garnison verdammtwar, die ihn anwiderte, erschien der Tod nieals eine Bedrohung. Todesmutig war er, jatodestoll. Mehrfach wurde er in Kunersdorfverwundet, von Kosaken ausgeraubt und schließlichin einen Sumpf geworfen, von wo aus er, zufälligaufgefunden, nach Frankfurt geschafft wurde;dort verblutete er heute vor 250 Jahren.
"Er hat sterben wollen", schrieb Lessing,den über den Tod Kleists eine "wilde Traurigkeit"befiel. Tatsächlich hätte sich Kleist nachder ersten Verwundung zurückziehen können,was er nicht tat. Allein, warum suchte erden Tod? Preußisch-patriotische und charakterlich-seelischeMotive überblenden einander; aber es sindwohl letztere, die den Ausschlag gegeben haben.Gerhard Wolf zitierte den Dichter, der voneinem Traum berichtete, der ihn vor der Schlachtvon Kunersdorf befiel: "Ich war gar nichtdabei, ich weiß aber auch nicht, wo ich war.Wäre ich nicht geweckt worden, vielleichthätte ich mehr von mir geträumt."
Ausstellungen zu Ewald von Kleist: "MeinHerz ist wund, doch darf ich's nicht bekennen",Kleist-Museum und Viadrina-Museum in Frankfurtan der Oder bis zum 11. Oktober, Di-So 10-18Uhr. Im Halberstädter Gleimhaus öffnet am6. September eine Gedenkausstellung, die bis15.11. laufen soll.
Lothar Jordan: Mars und Musen. Ewaldvon Kleist in Potsdam und Frankfurt an derOder. Frankfurter Buntbuch Nummer 47, 24 Seiten,mit Abbildungen, 8 Euro.