Ernst Busch Ernst Busch: Schnell auf der Barrikade
HALLE/MZ. - Im Februar 1977 tritt Ernst Busch ein letztes Mal vor die Öffentlichkeit. In Ostberlin singt der 77-Jährige aus Anlass der Übergabe des alten Hauses der Volkskammer an die Akademie der Künste. Immer ist Busch vor Auftritten nervös gewesen, jetzt aber kommen Herzrasen und Panikattacken hinzu. Es wird doch noch einmal ein museumsreifer Auftritt vor geladenen Gästen, denen Busch nur einen Song vorträgt. Ausgerechnet Brechts 1930er "Lied vom Klassenfeind", das endet: "Der Regen fließt von oben nach unten. / Und du bist mein Klassenfeind."
Kein Klassen-, aber doch ein Intimfeind ist für Ernst Busch der heftig aus der ersten Reihe applaudierende Erich Honecker, ein unangenehmer kulturpolitischer Gegner von den 50er Jahren an. Als FDJ-Vorsitzender hatte Honecker 1951 tatsächlich Brecht aufgefordert, aus einer Zeile seiner Kantate "Herrnburger Bericht" den Namen des "Moorsoldaten"- und "Einheitsfrontlied"-Sängers zu streichen. Aus der harmlosen Zeile: "Und das Walter Ulbrichtstadion / und der erste Mai / und wenn Ernst Busch singt / - Wärt ihr nur dabei!" Für Honecker war das Personenkult.
"Ich kann Busch so wenig aus dem kleinen Lied herausoperieren, wie Altmeister Goethe ihn aus ,Füllest wieder Busch und Tal' herausoperieren könnte", schrieb Brecht damals an Honecker. "Das Liedchen wäre mausetot." Der Kompromiss: Honecker zensierte, wenn die FDJ als Veranstalter im Spiel war. Dem Funktionär passte der ganze Mensch Ernst Busch nicht. Dieser Revolutionssänger im Ruhestand der Weltrevolution, der 1951 geäußert haben soll: "Das Zentralkomitee soll mich am Arsch lecken".
1977 ist das noch nicht vergessen. Aber "der Beifall wollte nicht enden", notiert die SED-Zeitung "Neues Deutschland". Dann wird es sehr still um Ernst Busch. Bei offenem Fenster sitzt der alte Herr fortan in seinem Haus in Pankow und hört die eigenen Schallplatten. Immer öfter irrt er durch das Viertel, findet nicht mehr nach Hause; die Polizei weiß Bescheid. Vom Frühjahr 1977 an hält sich der offenbar demenzkranke Sänger erst zeitweise, dann dauerhaft in der Psychiatrie in Bernburg auf, was nach außen geheimgehalten wird. Wie vieles andere auch: Busch soll als ein Denkmal überdauern.
Dieses wird nun abgetragen, um den Menschen, Künstler und Zeitgenossen Ernst Busch sichtbar zu machen, der im Jahr 1900 als Maurersohn in Kiel geboren wurde. Der Berliner Historiker Jochen Voit, 1972 geboren in Nürnberg, legt die bislang gehaltvollste, genaueste und anregendste Biografie des Sängers, Schauspielers und Regisseurs vor. Eines Künstlers, der als "proletarischer Albers" und "Barrikaden-Tauber" gefeiert wurde.
Oder besser: verhöhnt? Der Österreicher Richard Tauber (1891-1948) gilt als "Schmalztenor", wie der Publizist Karl Kraus feststellte, der den Kult um seinen Landsmann als "kotzenswürdig" einstufte. Hans Albers wiederum dient seinerzeit als Referenz für alles, was Erfolg hat. Was nicht heißt, dass er ein Freund der Busch-Kunst war. Aber doch des Sängers, dem er 1948 gesagt haben soll: "Du bist doch ein ganz blöder SED-Otto".
War er das? Voit erzählt die Geschichte Ernst Buschs von dessen Befreiung Ende April 1945 aus dem Zuchthaus Brandenburg-Görden her, Buschs persönlicher Stunde Null nach fünf Jahren Lager- und Gefängnishaft. Die linke Gesichtshälfte nach einem Bombenanschlag gelähmt, geht er in ein neues Leben. Das hat etwas Graf von Monte Christo-haftes: Busch, der europaweit gerühmte Proletarier-Sänger der 20er und 30er Jahre holt sich nach Spanien-Krieg, Moskauer Exil und NS-Haft, was er meint, dass es ihm zustünde: Anerkennung, Einfluss und Wohlstand.
Erst 1945 tritt der Sänger, der seine politischen Anfänge bei den Sozialdemokraten hatte, in die KPD ein, die bald in der SED aufgeht. Er gründet 1946 als Unternehmer den ihm 1953 wieder entrissenen Musikverlag "Lied der Zeit". Er wird als höchstbezahlter Schauspieler und Sänger gefeiert - monatlich: 4 000 Mark am Berliner Ensemble, 4 000 am Deutschen Theater und 800 Mark von der Akademie! - und von den SED-Genossen als "Proletkult"-Künstler und Kulissen-Revoluzzer ausgegrenzt. Schwer auszuhalten für den aufbrausenden, mit 1,70 Meter Körperhöhe eher kleinen Mann. Jochen Voit: Busch "kann ein netter Kerl sein, aber er kommt so selten dazu. Busch ist eitel und empfindlich, hochmütig und scheu, ist Platzhirsch und Nachtigall, Macho und Mimose". Kurzum, immer auf der Barrikade.
Selbstbewusst, autoritär, nie monogam. Ein Choleriker, der sich selbst als eine Institution begreift. So ist Busch ungern bereit, sich Parteikontrollen zu unterziehen: Tatsächlich zerreißt er 1952 sein Parteibuch; 1972 reicht man ihm ein neues, mit nachgeklebten Marken. Ernst Busch also: ein linker Aristokrat, der seine eigene Partei war; ein Künstler, kein Kader. Ein aus der Weltbürgerkriegs-Epoche übriggebliebener Kampfsänger, der der SED nur als ein Museumsstück brauchbar erschien. Ferngehalten und abgeschoben am Ende. So stirbt Ernst Busch heute vor 30 Jahren in der Bezirksnervenklinik Bernburg; in der DDR gilt als Busch-Sterbeort offiziell Berlin.
Jetzt auf CD: Ernst Busch 1960 - Live in Berlin. Edel-Kultur. Jochen Voit liest am 10. Juni 19 Uhr im Literaturhaus Magdeburg.