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Enthüllungsjournalist Enthüllungsjournalist: Ex-Mitarbeiter hört bei Wallraff mit

Von PETER BERGERUND DETLEF SCHMALENBERG 14.08.2012, 17:31

köln/MZ. - Und sie verunsichert ihn zutiefst, weil er sich in seiner Arbeit diskreditiert sieht. Fahnemann dagegen findet, Wallraff, der selbstlose Kämpfer für Benachteiligte, habe ihn gnadenlos ausgenutzt.

Am Montag hat die Auseinandersetzung eine neue Qualität erreicht. Auf der Internetseite des Mannes, der behauptet, Wallraff habe ihn über Jahre hinweg illegal beschäftigt, ist am Morgen für kurze Zeit der Audiomitschnitt eines Gesprächs zwischen Wallraff und seinem Mitarbeiter Albrecht Kieser zu hören. Es geht um André Fahnemann und dessen Arbeitsbeziehung zu Günter Wallraff. Offenbar illegal aufgezeichnet - am Küchentisch in Wallraffs Ehrenfelder Wohnung.

Das Mikrofon habe er installiert, bestätigt Fahnemann dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Auf seiner Homepage beschreibt er unter der Überschrift "Illegale Audiodatei" weitere Abhöraktivitäten: "Ich habe mir die letzten zwei Wochen täglich ein Mikro auf die Brust geklebt und Gespräche mit Wallraff aufgezeichnet. Alle Audiodateien sind mehrfach gesichert, verteilt und können auch über Dritte ins Netz gestellt werden."

Zum genauen Inhalt will und darf sich Wallraff nicht äußern. Er würde sich strafbar machen. Nur so viel: dass er schockiert gewesen sei. Sein Rechtsanwalt informiert um 12.30 Uhr die Staatsanwaltschaft, stellt Strafantrag wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Worts. Eine Stunde später ist der Mitschnitt gelöscht. Wallraff hat den Inhalt des Gesprächs abschreiben lassen. Danach lässt er sein Haus nach Wanzen durchsuchen. "Das hat eine neue Qualität."

Wie passt das alles zusammen? Das, was Wallraff als "naives Vertrauen" bezeichnet, und die knallharten Undercover-Recherchen, die er nach einer langen Pause im Jahr 2008 wieder aufnimmt? Mehr als 40 Jahre nach seinen Industrie-Reportagen, nach seiner Zeit als Undercover-Reporter Hans Esser im Hannoveraner Büro der "Bild"-Zeitung 1977 und in der Leiharbeitsbranche als Türke Ali 1985.

Einer wie Wallraff kann gar nicht anders. Missstände ziehen ihn an. Er macht alles ganz oder gar nicht, kennt keine journalistische Distanz. Alles, was er anpackt, wird zu seinem persönlichen Anliegen. Wer sich mit ihm trifft, muss damit leben, dass das Telefon im Minutentakt klingelt, weil Wallraff zum Beispiel nach seinen aktuellen Recherchen in der Paketdienstbranche etliche 100 000 Euro aus einem Härtefallfonds organisieren muss. Oder einer Putzfrau zu einem neuen Job verhelfen.

Nicht anders ist das auch im Nachgang seiner Recherchen in einer Weinzheimer Großbäckerei, in der aus Wallraffs Sicht unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen für den Discounter Lidl Aufbackbrötchen produziert werden. Das Ende einer Story, erzählt in der "Zeit", veröffentlicht in einem Buch, als Dokumentation mit versteckter Kamera gefilmt und abgedreht für die ARD, ist für ihn längst nicht das Ende der Geschichte.

Wallraff fühlt sich verantwortlich, seine Anwälte kümmern sich um Betroffene wie den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden der Großbäckerei Alban A., dessen eidesstattliche Versicherung André Fahnemann auf Anhalten Wallraffs im Dezember 2011 gefälscht haben will. Inhaltlich, sagte Fahnemann dem "Kölner Stadt-Anzeiger" am Dienstag, sei das völlig in Ordnung gewesen. Er sage das, weil "das Wallraff entlastet. Wir hatten diese Versicherung vorliegen. Die Versicherung blieb inhaltlich gleich. Es kam ihm aber darauf an, dass sie mit einer Originaltinte unterschrieben ist. Deshalb hat er mich gebeten, ich solle die Unterschrift nachmachen."

Auch André Fahnemann war irgendwann Wallraffs persönliches Anliegen. Der Aussteiger aus der Call-Center-Branche mit einer Polizeiakte mit etlichen Einträgen, mit einem Gefängnisaufenthalt wegen fahrlässiger Brandstiftung und erheblichen gesundheitlichen Problemen.

Einer mit schwieriger Biografie, wie Wallraff es formulieren würde. Menschen wie Fahnemann sind dem Enthüllungsjournalisten in seiner langen Karriere immer wieder begegnet. Sie haben ihn nie abgeschreckt. Im Gegenteil.

Wenn man ihn fragt, warum er im Fall Fahnemann dieses Risiko überhaupt eingegangen sei, antwortet Wallraff mit Dutzenden positiven Beispiele. Heimzöglinge hätten bei ihm gewohnt, die er versteckt habe wegen der katastrophalen Zustände, die damals in deutschen Heimen geherrscht hätten. Daraus sei ein eindrucksvoller Film entstanden. Er habe mal einem Spitzel vertrauen müssen, der heute zu seinen besten Freunden zähle.

In Wallraffs langer Karriere hat es immer wieder Mitarbeiter gegeben, die sich enttäuscht von ihm abgewandt haben. Der Kölner Journalist Uwe Herzog ist einer von ihnen. Er habe an mehreren Büchern von Wallraff mitgearbeitet, vor allem auch an dem Bestseller "Ganz unten", in der Wallraff die Rolle des Türken Ali eingenommen hat. In der deutschen Erstausgabe könne er mit seinen verdeckten Recherchen die Urheberschaft für 40 Seiten in sieben Kapiteln für sich beanspruchen, erklärt Herzog dem "Kölner-Stadt-Anzeiger". Nach langem Streit habe man sich außergerichtlich geeinigt.

Der Journalist Albrecht Kieser hingegen, der mit Fahnemann zusammengearbeitet hat, wehrt sich gegen den Vorwurf, er habe in den vergangenen Jahren Texte geschrieben, die unter Wallraffs Namen erschienen sind.

Günter Wallraff schreibe seine Texte bis heute nicht am Computer, sondern diktiere sie, spreche sie auf Band oder notiere sie handschriftlich. Irgendwann müsse sie ja mal jemand in den Computer eingeben. Die Vorwürfe, ganze Kapitel des Bestsellers "Schöne neue Welt" seien von ihm verfasst worden, entsprächen nicht den Tatsachen.