«Emil und die Detektive»: Castorf setzt auf Krawall
Berlin/dpa. - Vampire, Säufer und Schläger - Erich Kästners heile Romanwelt wackelt. Der Theatermacher Frank Castorf hat auf der Bühne Kästners Entwurf einer solidarischen, menschelnden und unverfälschten Kindergemeinschaft ins Wanken gebracht.
Mit Gewehrschüssen, virtuellen Vampirmetzeleien und aggressiven Kinderschauspielern feierte die Bühnenfassung des Jugend-Klassikers Premiere an der Berliner Volksbühne. Das Publikum reagierte eher zurückhaltend auf die Krawall-Version des Klassikers.
Die Geschichte um den Jungen Emil, der einen Dieb verfolgt und gestohlenes Geld mit Hilfe seiner Freunde zurückbekommt, ergänzte der Regisseur mit Versatzstücken aus Alfred Döblins «Berlin Alexanderplatz». Auf einer Leinwand liefen außerdem Ausschnitte aus einem Horrorfilm.
Die beiden Romane erschienen 1929 und standen damit am Ende der «Goldenen Zwanziger Jahre». Kästners Buch über eine liebende Mutter und den pfiffigen Sohnemann gibt Castorf einen gesellschaftskritischen Anstrich. Er zeigt Menschen auf dem sozialen Abstellgleis, die Bier trinken, und Kinder ohne Halt. Milan Peschel rückt als Dieb Grundeis ins Zentrum. Die flache Romanfigur bekommt in der Theaterfassung ein doppeltes Gesicht. In fließenden Übergängen spielt Peschel Döblins Antihelden Franz Biberkopf aus «Berlin Alexanderplatz». Die Dialoge zwischen ihm und seinem Gegenspieler Reinhold zählen zu den dramaturgisch dichtesten Momenten der zweieinhalbstündigen Vorstellung.
Am Abend zuvor war an der Volksbühne das Theaterstück «Berlin Alexanderplatz» wieder ins Programm aufgenommen worden. Das Bühnenbild von Bert Neumann blieb für das Kästner-Stück stehen. Auf der Drehbühne sind die Seiten eines Bungalows als Imbissstand, Müllhalde und Kirmesbude gemacht. Eine Kamera gibt Einblick ins Innere des Häuschens. So sehen die Zuschauer auf einer Leinwand, wie aus den Kindern ein Schlägertrupp wird. Sie prügeln wie Kampfmaschinen auf einen Sandsack ein und schreien dabei: «Du Sau!»
In Anspielung an die literarische Montagetechnik von Alfred Döblin bricht der Regisseur die Handlung durch Filmausschnitte, Sachtexte und politische Einwürfe auf. Auf der Leinwand werden Szenen aus dem Horrorfilm «From Dusk Till Dawn» gezeigt. Dabei verschwimmt die Grenze zwischen Kino- und Theaterbühne, wenn der Junge Emil als Vampirjäger mit Holzkreuz gegen die Filmmonster kämpft. David Gabel als Emil müht sich redlich, die Regieeinfälle auszuspielen. Doch es sollte kein Abend schauspielerischer Glanzlichter werden. Die Stimmen sind akustisch schwer verständlich, zudem sprechen die Kinder und die erwachsenen Schauspielerinnen Luise Berndt und Ewa Mostowiec ihre Texte unsicher. Die Souffleuse hat viel zu tun.
Die Volksbühne ist als unbequemes Theater und Hort kreativer Provokation bekannt. In «Emil und die Detektive» setzt Castorf auf bewährte Mittel. Mit Gewehrschüssen ins Publikum, kapitalismuskritischen Einwürfen und dröhnender Musik wird den Zuschauern die politische Botschaft von einer Gesellschaft in sozialer Schieflage verdeutlicht. Die Kinderfiguren aus dem heiteren Jugendbuchklassiker werden in Camouflage-Kleidern und als Schläger mit Waffen dargestellt. Das ist vermutlich ein letzter Provokations- Grashalm, den die Volksbühne noch nicht abgemäht hat.