Eiszeit-Fieber in Stuttgart
Stuttgart/dpa. - Das gerade mal 3,7 Zentimeter große, geschnitzte Mammutchen, oder der Löwenmensch, eine zerbrechlich wirkende Knochenflöte, und die vielleicht 40 000 Jahre alte Frauenskulptur «Venus vom Hohlen Felsen». Gemeinsam gelten sie als die ältesten Kunstwerke der Menschheit und sind demzufolge weltberühmt. Gefunden wurden sie in Höhlen auf der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg. Die Ausstellung «Eiszeit - Kunst und Kultur» präsentiert bis zum 10. Januar 2010 erstmals die ganze Vielfalt der altsteinzeitlichen Kunst Europas.
Das älteste menschliche Fossil Mitteleuropas, ebenfalls gefunden in Baden-Württemberg, fällt daneben schon gar nicht mehr auf. Trotzdem ist auch der Unterkiefer eines einst bei Heidelberg gefundenen, 500 000 Jahre alten «Homo erectus» nicht allzu oft zu sehen. Mit ihm wie auch mit dem Schädel des 250 000 Jahre alten «Homo steinheimensis» wird die Siedlungsgeschichte der Urmenschen in Europa nacherzählt. Vor 40 000 Jahren kam dann der moderne Mensch aus Afrika in den Raum des heutigen Südwestens und verdrängte den Neandertaler. Welche Überreste finden sich? Wie sahen die Menschen aus? Wie haben sie sich ernährt und gekleidet? Welche Pflanzen gab es und welche Tiere - neben den berühmten Mammuts?
Das Stuttgarter Kunstgebäude verwandelt sich für die Dauer der Ausstellung in eine begehbare Welt der Eiszeit. Rund 1000 Exponate aus der Region aber auch von rund 80 Leihgebern aus 14 Staaten werden auf 2500 Quadratmetern gezeigt. Dabei liegt die Faszination der recht kühlen Präsentation aber in erster Linie in der Bedeutung der Gegenstände für die Menschheitsgeschichte. Durch Animationen, Rekonstruktionen und Inszenierungen soll das altsteinzeitliche Leben während der Eiszeit in Europa nachvollziehbar werden - gut, dass für Kinder der Audioguide «Wolli» zur Verfügung steht, der alles Wichtige und Spannende über die Eiszeit auch kindgerecht erzählt.
Aber warum stammt die älteste Kunst der Menschheit ausgerechnet aus Höhlen bei Ulm? Der Tübinger Urgeschichtler Nicholas Conard meint, dass womöglich anderswo nur noch nicht intensiv genug gesucht wurde. Im Südwesten gebe es seit Ende des 19. Jahrhunderts eine «einzigartige Forschungstradition». Trotzdem sei es «eine große Ehre», den aktuellen Forschungsstand jetzt umfassend zu präsentieren. Im kalkhaltigen Gestein der Schwäbischen Alb seien Funde aus der Eiszeit aber womöglich auch besser erhalten geblieben als an anderen Orten Europas. Conard vermutet, dass sich die Kunst anderswo ebenso früh entwickelt hat.