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Einar Schleef  Einar Schleef : Der fremde Nachbar

Von Andreas Montag 19.09.2016, 17:02
Einar Schleef: „Mauer“, Anfang der 80er Jahre, Gouache auf Papier.
Einar Schleef: „Mauer“, Anfang der 80er Jahre, Gouache auf Papier. Kunstmuseum Moritzburg Halle

Dessau-Rosslau - Er ist der große Unbekannte der deutschen Nachkriegskunst geblieben, wobei die Betonung auf beiden Worten liegen muss. Dass seine Bedeutung als Autor, Dramatiker und auch als Maler gar nicht hoch genug geschätzt werden kann, wie ihm von Kritikern wie Journalisten nachrühmend in höchsten Tönen bescheinigt worden ist, hat dem armen Schleef auch nicht mehr helfen können. Er ist tot und weithin vergessen, was uns, dem Publikum, mehr schadet als ihm.

Denn Einar Schleef (1944-2001) ist einer, bei dem nicht nur zum Thema DDR, sondern über die Deutschen überhaupt mehr abzuholen ist, als in vielen ehrbaren Historikerstudien. Das mühsame Herauswachsen aus dem Nationalsozialismus, das knirschende Hineinwachsen in das vereinte Deutschland - alles hat Schleef, der Schmerzensmann aus Sangerhausen, erlitten, gefühlt, geatmet, geschmeckt. Und aufgeschrieben, inszeniert, gezeichnet, gemalt.

Schau aus dem Nachlass

Von den bildnerischen Talenten Schleefs kann man sich dieser Tage im kleinen Ausstellungsraum des Anhaltischen Kunstvereins in der Askanischen Straße in Dessau überzeugen. Liebevoll und kenntnisreich aus dem Nachlass Schleefs zusammengestellt, der zu großen Teilen im halleschen Kunstmuseum Moritzburg lagert, stehen die ausgewählten Werke übrigens auch zum Verkauf. Allerdings muss man schon recht beherzt in die Tasche greifen, um einen Schleef nach Hause tragen zu können, die Gemälde haben fünfstellige Euro-Preise, die Zeichnungen überwiegend vierstellige.

Immerhin, seit der großen, stark beachteten Werkschau, die 2008 im ehemaligen Karstadt-Kaufhaus zwischen Halle und seiner Neustadt gezeigt worden ist (und gern auch an andere Museen hätte weitergereicht werden können), gab es bis auf eine Ausstellung in der Moritzburg in Halle nicht sehr viel zu sehen von Schleef. Zu hören und zu sehen immer noch einmal, der Regisseur Armin Petras hat sich als getreuer Anwalt des Dramatikers Schleef erwiesen. Viel zu lesen gibt es allerdings, Briefwechsel und Tagebücher liegen vor.

Am Befund ändert das freilich nichts: Während Heiner Müller, der andere moderne Klassiker aus dem Osten, fleißig gespielt wird, wird Schleef noch posthum zum Opfer der Legende, die ihm vorausging und nun nachgeht: Der Mann ist schwierig. Was man getrost als Mumpitz bezeichnen darf. Natürlich sind Müller wie Schleef, die man durchaus als (allerdings unterschiedliche) Brüder im künstlerischen Geiste betrachten darf, keine Leichtgewichte, für das Ohnsorg-Theater haben beide nicht gearbeitet. Aber sowohl Müller, der zynische Moralist, als auch Schleef, der moralische Berserker, haben mehr mit uns und unserer Zeit zu tun, als vieles, das als letzte Erkenntnis auf dem Markt der flotten Schreiber gehandelt wird.

Wie genau es Schleef mit sich und dem, was ihn umgab, gehalten hat, lässt sich auch an seinen Bildern ablesen, die Dessauer Schau bietet einen guten Überblick. Da tritt die Mauer wieder ins Blickfeld, ein graues Monstrum, das der Maler so zeigt, als habe es keinen Anfang und kein Ende. Schattenhaft, wie in panischer Flucht, rennt ein Wesen an diesem Bauwerk des Schreckens entlang - aber es wird keine Tür, keinen Ausweg finden.

Dieses Bild ist eine große Metapher nicht auf die deutsche Teilung allein, sondern auf alles, das den Menschen unfrei und hoffnungslos macht. Das ist Schleefs großes Thema: das Gefangensein und der Versuch, der erzwungenen, auch sich selbst aufgezwungenen Unmündigkeit zu entkommen. Deshalb die stampfenden, brüllenden Chöre in seinen Bühnenarbeiten, deshalb der Drang, das eigene Stammeln in freier, selbstbewusster Rede überwinden zu können.

Sehnsucht nach Verständnis

Großartig sind auch die Telefonzellen-Bilder von Schleef, einen ganzen Zyklus hat er zu diesem Thema geschaffen, der in Halle seinerzeit der „Hingucker“ gewesen ist. In Dessau gibt es immerhin malerische Studien dazu zu sehen, aus denen schon das andere große Thema des Malers spricht: Einsamkeit und die Sehnsucht nach Kommunikation, nach Verstanden-Werden.

Darüber hinaus wird auch in der Ausstellung des Anhaltischen Kunstvereins die Vielseitigkeit des Künstlers augenfällig, der seine Techniken meisterlich zu beherrschen verstand - und die Arbeiten großer Kollegen gut studiert hatte. So ist ein kleines Bild zu sehen, das badende Frauen zeigt und bis in den Gestus hinein eine deutliche Verneigung vor den „Brücke“-Malern ist. Man hätte sich gewünscht, die Arbeit Schleefs mit einem Bild aus der gleichfalls in Halle beheimateten Sammlung Gerlinger zu konfrontieren.

Schließlich sind es auch die Selbstbildnisse, die Schleefs Werk so sprechend machen: Ein skeptischer, manchmal trauriger - aber stets offener (und damit verwundbarer) Mann blickt dem Betrachter entgegen. Ein Mann, den man gern getroffen hätte und der wenigstens mit seinem Werk noch zur Verfügung steht. In Dessau haben, begleitend zur Ausstellung, die Schauspieler Jutta Hoffmann und Wolfram Koch Schleefs Texte nahe gebracht, vielleicht wird man dem bedeutenden, wortgewaltigen Sohn Mitteldeutschlands in nicht zu ferner Zukunft aber auch wieder auf einer Theaterbühne begegnen.

Einstweilen bleibt die Erinnerung an einen Künstler, der vor 15 Jahren so fremd aus dem Leben ging, dass es immer noch schmerzt: Gestorben am 21. Juli 2001 an seinem verwundeten Herzen, hat es geschlagene elf Tage gebraucht, bis die Welt erfuhr, wer der Tote war, der dort, in einer Berliner Klinik, lag.

Anhaltischer Kunstverein, kunstRaum 22, Dessau, Askanische Straße 22, bis zum 25. Sept., Fr-So 14-17 Uhr

(mz)

Einar Schleef: „Selbstbildnis“, Anfang der 80er Jahre, Kreide, Deckfarbe
Einar Schleef: „Selbstbildnis“, Anfang der 80er Jahre, Kreide, Deckfarbe
Kunstmuseum Moritzburg Halle