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Freund der Funktionäre Edition Ost von Ex-Stasi-Mann Frank Schumann: Der Kummerkasten der DDR-Elite

Von Steffen Könau 11.02.2017, 19:22

Halle (Saale) - Es war ein gewagtes Pokerspiel, das am Anfang des zweiten Lebens von Frank Schumann stand. Ein paar Jahre schon betrieb der frühere Redakteur der FDJ-Zeitung „Junge Welt“, seinen Verlag Edition Ost, er brachte Bücher heraus, DDR-Persiflagen wie „Wir wolln unseren Erich wiederham“ und die Satire „Jaaa! Deutschland balla, balla!“ vom westdeutschen Kabarettisten Dietrich Kittner. Schweres Spartenprogramm, erfolgsunverdächtig. „Dann aber kam diese Anfrage, über mehrere Ecken“, erzählt der 66-Jährige, „ob wir nicht Erich Honeckers Moabiter Notizen verlegen wollen.“

Schumann, ein zupackend wirkender Herr mit weißem Haar und Vollbart, greift zu. „Dabei hatten wir nicht mal das Geld, die Startauflage zu drucken.“ Allerdings ist der gebürtige Torgauer, aufgewachsen in einem Pfarrershaushalt, in dem er sich schon als Kind in die Lektüre altertümlicher Kirchenbücher verliebt, auch unter den Verhältnissen der Marktwirtschaft derselbe Medienprofi, der er als Kulturchef der „Jungen Welt“ war. „Ich habe also eine Pressemitteilung rausgegeben, dass wir das Buch machen.“ Keine Stunde später schon belagern Vertreter aller großen Zeitungsverlage seine Wohnung, um sich die Vorabdruckrechte zu sichern. Schumann macht eine Auktion daraus. „Ich bin dreimal zu den einen und dreimal zu den anderen, dann war der Preis hoch genug, damit wir das Buch drucken lassen konnten.“

Frank Schumann: Hüter der DDR-Erinnerungen

Der bekennende Kommunist als Ur-Kapitalist. Frank Schumann hat kein Problem mit dieser Rolle. Bücher müssen verkauft werden, wenn sie in der Gesellschaft wirken sollen. Und in der Gesellschaft wirken, das will der gelernte Spezialglasfacharbeiter noch immer. Seit die ganze Generation der Entscheidungsträger der Arbeiter- und Bauernrepublik das Bedürfnis entwickelt hat, sich schriftlich zu erinnern und zu erklären, herrscht kein Mangel an Stoff.

Dass Schumann, zu DDR-Zeiten in etwa das, was die Leute einen 150-Prozentigen nannten, seinen ersten Bestseller ausgerechnet Erich Honecker verdankt, sieht nach alter Seilschaft aus. Ist aber nur Zufall. „Ich bin ihm vorher nie begegnet“, sagt der Verleger. „Vorher“, damit ist die DDR-Zeit gemeint. Schumann, nach dem Wehrdienst bei der Volksmarine und dem Studium in Leipzig bei der „Jungen Welt“ gelandet, verdankt allerdings schon seinen ersten journalistischen Großauftrag samt Reisepass und Westreisegenehmigung dem Staatschef und Generalsekretär. „Honecker wünschte sich eine Serie über eine Gruppe deutscher Überläufer, die im II. Weltkrieg unter dem Kommando des Sowjet-Offiziers Bejdin hinter den deutschen Linien abgesprungen waren.“ Dieser Bejdin war derselbe, der Honecker später als FDJ-Chef empfahl. Einige der ehemaligen Soldaten wohnten Anfang der 80er im Westen. „Also haben sie mich rüberfahren lassen.“

Denn auf Frank Schumann ist Verlass. Der Spross einer alten Korbmacherfamilie ist von Hirn und Herz her überzeugter DDR-Bürger. Zweifel am Sozialismus kennt er nicht, selbst die direkte Begegnung mit dem real existierenden Kapitalismus in der BRD bestärkt ihn nur darin, ein absterbendes, faulendes System zu erleben. „Das sah schön aus, aber wer Marx gelesen hat, schaut hinter die Fassade.“

Verklärt Stasi-Kundschafter Frank Schumann die DDR-Geschichte?

Schumann zögert also auch keinen Moment, als die Auslandsaufklärung der Staatssicherheit an ihn herantritt. „Ich sollte für Kurierdienste zur Verfügung stehen, Briefe mitnehmen, Leute kontaktieren.“ Als „IM Karl“ tut er das jahrelang, manchmal im Wissen, was im Umschlag ist, manchmal auch allein im Vertrauen darauf, „dass mich meine Regierung austauschen würde, sollten sie mich erwischen“.

Tun sie nicht. Der Bond im Blauhemd aber verdient sich auch mit diesem Teil seiner Biografie das Vertrauen der Frauen und Männer, die nach dem Ende der DDR nach Erklärungen und Entschuldigungen für den Offenbarungseid des eben noch zur Krone von Jahrhunderten menschlicher Entwicklung erklärten kleinen Staates im deutschen Osten suchen.

„Nach Erich Honecker kamen sie alle“, beschreibt Schumann. Egon Krenz und Hans Modrow, Richter der DDR, Verteidigungsminister, Wissenschaftler, Gerhard Schürer, der DDR-Wirtschaftsplaner, die Spitzen der Stasi, ein Schwung Kombinatsdirektoren, Medienleute und Auslandsspione. Sie alle wollen nun erzählen, erklären, sich rechtfertigen. Es war nicht so, steht dann da. Oder zumindest war es nicht so gemeint. Und hatte bestimmte Gründe.

Frank Schumann hat sich mehr als einmal anhören müssen, dass er den Verklärern und Verharmlosern der DDR ein Podium biete. „Aber damit kann ich leben“, sagt er, der nicht jede Sichtweise seiner Autoren auf die untergegangene Republik teilt, wohl aber deren Grundgefühl, diese DDR sei ihre gewesen und verdiene es, gegen „eine Welle an Unwissenheit und Lügen“ verteidigt zu werden, wie Schumann glaubt. „Lothar de Maizière hat mal gesagt, in der DDR lebten drei Prozent Täter und 97 Prozent Volk“, sagt Frank Schumann, „seit 1990 aber will man uns weismachen, es seien 97 Prozent Täter gewesen.“ Geschichte ausschließlich aus der Opferperspektive zu betrachten, sei doch genauso falsch wie deren Glorifizierung.

Seine Edition Ost sieht der in Berlin lebende Sachse als einen Ort, an dem die Geschichten derer, die dabei waren, Geschichte so erzählen, wie sie erlebt wurde. Dass die meisten seiner Autoren die DDR immer noch vehement verteidigen, kann Frank Schumann nachvollziehen. „Wer diesem Land sein Leben gewidmet hatte, wird sich immer schwer tun, alles in die Tonne zu treten, was er für richtig gehalten hat.“ Seine eigene Rolle sei deshalb nicht die des Korrektors, sondern die des Verlegers. In der schütze er auch seine Autoren, selbst wenn die Positionen verteidigten, die anderen als ewig gestrig gelten.

Frank Schumann ist damit zur ersten Adresse für DDR-O-Ton-Literatur geworden. Ein Hüter der Erinnerung der Funktionäre, bei dem sich zeitweise sogar der Thüringer Verfassungsschutz per Strohmann einkauft, um auf dem Laufenden über die Schreibbemühungen der früher Mächtigen zu bleiben. Auch Margot Honecker landet wieder bei Frank Schumann, als sie einen Verlag für die „Letzten Aufzeichnungen“ ihres Mannes sucht. Jetzt erst lernt Schumann die Frau des Generalsekretärs in Chile kennen. Und es entsteht ein Vertrauensverhältnis, in dem Margot Honecker Schumann so nahe an sich heranlässt, dass selbst die Ausstrahlung des Films eines ARD-Mitarbeiters, den Schumann ohne Kenntnis von dessen Absichten mitgenommen hat, nur kurz für Irritationen sorgt. „Sie war so souverän zu sagen, hast einen Fehler gemacht, aber keiner ist vollkommen.“

Inzwischen ist auch Margot Honecker tot, Frank Schumanns letzte Bestsellerautorin. Der Bedarf an Berichten Beteiligter aber bleibt. Frank Schumann macht also weiter, aus seiner Sicht nicht im zweiten, sondern immer noch in einem Leben mit einer einzigen Aufgabe: „Früher habe ich für eine bessere DDR gearbeitet, heute eben für eine bessere Bundesrepublik.“ (mz)

Bei seinem letzten Besuch  in Chile übergab  Margot Honecker den DDR-Personalausweis ihres Mannes an Frank Schumann, der das Stück deutscher Geschichte bis heute hütet.
Bei seinem letzten Besuch  in Chile übergab  Margot Honecker den DDR-Personalausweis ihres Mannes an Frank Schumann, der das Stück deutscher Geschichte bis heute hütet.
Edition Ost