Dreißig Jahre Krieg Dreißig Jahre Krieg: Herfried Münkler zeigt in Magdeburg Parallelen zu heute auf

Magdeburg - Wie lange dauerte der Dreißigjährige Krieg? Dieser Kalauer verweist im Kern auf ein ernsthaftes Problem: Was wissen wir eigentlich noch über dieses Gemetzel, das sich überwiegend auf deutschem Boden abspielte, wobei ein Drittel der dort lebenden Bevölkerung umgekommen ist?
Das sind, in relativen Zahlen, mehr Opfer, als der Zweite Weltkrieg gefordert hat, wie Herfried Münkler am Donnerstagabend in der Magdeburger Stadtbibliothek sagte.
Münkler ist Politikwissenschaftler, Professor an der Berliner Humboldt-Universität und renommierter Buchautor.
Münkler veröffentlichte neues Buch zum dreißigjährigen Krieg
Im vergangenen Herbst erschien im Rowohlt Verlag Berlin sein Mammutwerk „Der Dreißigjährige Krieg: Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648“.
Dass Münkler nun nach Magdeburg eingeladen war, hat natürlich auch mit der Geschichte dieser Stadt zu tun. Am 20. Mai 1631 nahmen die vom Grafen Johann T’Serclaes von Tilly geführten katholisch-kaiserlichen Truppen nach langer Belagerung Magdeburg ein, es wurden annähernd 25.000 Tote gezählt.
Und die Stadt fiel aus der Blüte, in der sie gestanden hatte, ins Nichts.
Hunger herrschte, die hygienischen Bedingungen waren katastrophal, Seuchen grassierten, von medizinischer Versorgung konnte kaum die Rede sein.
Münkler zieht Parallelen zwischen Magdeburg und Syrien
„Nicht das Schlachtfeld brachte die meisten Toten, sondern die Belagerung“, sagt Münkler. Hier sieht er unter Verweis auf den Krieg in Syrien auch die Aktualität des historischen Geschehens.
Der Autor, der an diesem Abend nicht eine Zeile aus seinem Buch lesen wird, kommt noch ausführlich darauf zu sprechen. 75 Minuten lang trägt er vor, klar und pointiert - ohne auch nur einen Stichwortzettel zu bemühen.
Frage: Wie konnte es 1618 zum Krieg kommen?
Was, zum Teufel, war 1618 geschehen, dass es zu einem so langen, verlustreichen Krieg kam, der (wie der syrische) zu keinem Ende kommen konnte?
Das ist die Frage. Münkler spricht vom Prager Fenstersturz als einem „Happening“. Immerhin sei dabei keiner der drei Betroffenen, Amtsträger der Zentralmacht, ums Leben gekommen.
Münkler beschreibt den historischen Fenstersturz genüsslich
Münkler beschreibt geradezu genüsslich, wie es zuging, als die protestantischen böhmischen Stände zum Aufstand gegen die Kaiserlichen bliesen.
Die Angegriffenen seien vom Fenster auf den schrägen Burgmauern hinabgerutscht und schließlich auf dem Mist gelandet.
Wohl hielt sich lange auch die katholische Lesart am Markt, die in der glücklichen Rettung der drei Männer ein Marienwunder sehen wollte. Als sehr wahrscheinlich gilt die fromme Legende allerdings nicht.
Dreißigjähriger Krieg ist aus kulturellem Gedächtnis verschwunden
Tatsächlich sind aber sowohl die Hintergründe als auch die Schrecknisse des Dreißigjährigen Krieges weitgehend aus dem kulturellen Gedächtnis der Deutschen verschwunden.
Überlagert von den jüngeren Gräueln des Zweiten Weltkrieges ist der große europäische Machtkampf des 17. Jahrhunderts weit entrückt - obwohl er doch relevante Parallelen zur Gegenwart aufweist.
Wie war die Ausgangslage? Im Kern ging es um die Auseinandersetzung zwischen der legitimen Zentralmacht, den katholischen Kaiserlichen aus Wien, die von ihren Habsburger Vettern in Spanien unterstützt wurden, und den nach Eigenständigkeit strebenden, protestantisch dominierten Ständen.
Streit um Macht, Einfluss und Religion
Die Religion war neben dem Machtstreben ein zweites Streitobjekt. Sie eignet sich immer bestens dafür, und sei es als Vorwand. Auch dies kann man in gegenwärtigen Krisenlagen mühelos nachvollziehen.
Geht es heute um Christen und Muslime, verlief damals die Konfliktlinie zwischen katholischem und protestantischem Bekenntnis. Immerhin: Die Reformation lag gerade einmal 100 Jahre zurück, da waren noch längst nicht alle Schlachten geschlagen.
Auch istorische Zufälle führten mit zum Krieg
So schaukelten sich die Dinge hoch. Und es kam auch der Zufall dem Kriegsgelüsten zu Hilfe. Erzherzog Ferdinand II. von Österreich, seit 1617 böhmischer König und zwei Jahre später zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekürt, hatte Gelegenheit, die Attacke auf seine Getreuen zum Anlass für einen Krieg zu nehmen.
Denn er war, wie Herfried Münkler sagt, auf dem Balkan gerade einmal nicht gefordert, weil die Türken, die er üblicherweise dort in Schach zu halten hatte, vor Bagdad beschäftigt waren.
Die Spanier, die Ferdinand zur Seite sprangen, taten dies auch nicht allein aus katholischer Nächstenliebe.
Sie schafften es nicht, die niederländische Unabhängigkeitsbewegung auszuschalten und fürchteten, der böhmische Ständeaufstand könnte einen galoppierenden Bedeutungsverfall der traditionellen Mächte nach sich ziehen.
Eine Sorge, die heute zum Beispiel den US-Präsidenten Donald Trump umzutreiben scheint, der es auf einen Handelskrieg mit den Europäern ankommen lassen will, wenn die sich nicht seinen Wünschen fügen.
Geschichte als Frage des wie und warum
So gesehen, ist Geschichte viel spannender als die reine Betrachtung der Ereignisse. Münkler versteht seinen Job denn auch genau so: Ihn interessiert weniger, das Geschehen nachzuvollziehen als vielmehr die Frage, warum etwas geschah - einschließlich der Ableitungen, die sich daraus ergeben.
Geld, Waffen, Männer - von allen Seiten wurde alles Nötige hineingepumpt in das Geschehen, damit der Krieg weiterlaufen konnte. Von „offener Kriegsökonomie“ und „Kriegsunternehmern“ spricht der Autor und erkennt darin abermals eine Parallele zu Syrien: „Sonst wäre der Krieg dort längst ausgebrannt.“
Es ist reizvoll und sehr gegenwärtig, sich die „Warlords“ des Dreißigjährigen Krieges vorzustellen. Christian von Braunschweig zum Beispiel, der Münkler zufolge seinen Feldzug durch Raub finanzierte, während Wallenstein, nicht weniger grausam, an der fiskalischen Schraube gedreht und die Menschen ausgeplündert hat.
Erschöpfungskrieg damals wie heute
Die zweite Hälfte des Krieges nennt der Wissenschaftler nur noch einen „Erschöpfungskrieg“, in dem zwar noch einige Schlachten stattfanden - aber eher um zu zeigen: „Es gibt uns noch!“
Dann konnte schließlich doch Schluss sein, auch wenn andere Kriegshandlungen, etwa zwischen Frankreich und Spanien, weitergingen. Am 24. Oktober 1648 wurde der Westfälische Friede nach fünfjährigen, zähen Verhandlungen in Münster und Osnabrück geschlossen.
Und was wäre aus alledem für heute zu lernen? Deutschland müsse von wertgebundener Außenpolitik hin zu geopolitischen Vorstellungen kommen, meint Münkler.
Münkler vertritt in Magdeburg auch unpopuläre Ansichten
Das ist unpopulär, er weiß es. Trotzdem rät er: Man sollte den Russen in Sachen Krim und Donbass entgegen kommen, damit die in Syrien Einfluss nehmen und die Flüchtlingsströme gestoppt werden können.
Und was ist komplizierter geworden seit dem Dreißigjährigen Krieg? Eine dritte, unkalkulierbare Kraft nennt Münkler das, was zwischen Krieg und Frieden getreten ist: der Terrorismus.
Herfried Münkler. „Der Dreißigjährige Krieg: Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648“, Rowohlt Verlag Berlin, 976 S., 39,95 Euro
(mz)