Dreigroschenoper in Leipzig Dreigroschenoper in Leipzig: Spelunken-Jenny trifft Mackie Messer

leipzig/MZ - Die „Dreigroschenoper“, uraufgeführt 1928 in Berlin, ist durchweg eine Kollektivarbeit. Um nur zwei zu nennen: Der Komponist Kurt Weill schraubte mit am Text, der Autor Brecht hat beträchtliche Anteile an der Musik. Gleichzeitig ist sie ein Werk der ständigen Veränderung, ein künstlerisches Spiel mit allen Genres, dem Produktionsprinzip des epischen Theaters zugehörig und eine Persiflage auf allzu kitschige Opern.
Noch während der Generalprobe 1928 wurde sie um 45 Minuten gekürzt, Tanz und Jazz wurden wichtiger. Die Texte sind klar verständlich, man wollte die Massen erreichen, in die „Verbrauchsindustrie“ einbrechen und das bürgerliche Gesellschaftssystem als Raubordnung festschreiben. Behauptet wurde die Ähnlichkeit der Ideen und Gefühle von soliden Bürgern und Straßenbanditen, beabsichtigt war ein gedankliches Experiment, dass Strukturen des Kapitalismus durchschaubar machen sollte.
Die Wirkungsgeschichte ist bis heute voller Verklärungen. Genau hier setzt Tiedemanns Inszenierung am Schauspiel Leipzig an. So lässt er die Räuber und Huren um Mackie Messer (Dirk Lange) mit ihrem Straßenslang sprechen, denken und singen. So kommt das Orchester nicht in den Graben, sondern auf die Bühne, so setzt er den Akzent auf den Text, auf ein sparsames Bühnenbild und auf die Lust am Gesang.
Überdimensionale Buchstaben werden zu Requisiten, ein wenig Nebel zieht auf, ein schwarz-weißes Hintergrundbild gemahnt an London, genauer an Großstädte im Allgemeinen, ans Zeitlose. Und mittendrin heiratet die bürgerliche Polly, gegen den Willen ihrer Unternehmerfamilie, ihren Mackie, kommt es zu Verwicklungen, bleiben die Figuren Typen und keine psychologisch ausgereiften Personen, werden romantische Tändeleien ironisiert, landet der Räuber am (scheinbaren) Galgen, wird die Korruption und der Verrat durch eine Flüstertüte erläuternd begleitet. Das ist die „Dreigroschenoper“ als Klassiker, nicht als Klamauk, nicht als Schlager, nicht als postmoderne Dauervielfalt.
Philip Tiedemann hat Brecht sichtbar studiert, bleibt ihm treu. Nur einmal versucht er die Reflexionsdistanz zu brechen. Dann ist es intensiv, emotional überwältigend und die Essenz des Stückes spürbar. Beim Lied „Wovon lebt der Mensch“ wird es düster, erfüllt Nebel den ganzen Saal, kommen alle Schauspieler langsam aus Löchern und stellen gemeinsam lautstark fest: „Der Mensch lebt nur von Missetat allein!“ Der Rest der Inszenierung ist professionelles solides Handwerk.
Die Lieder werden vom Mief der Wirkungsgeschichte befreit, das Gewandhausorchester besetzt jedes erforderliche Instrument einzeln, der Slapstick ist wohldosiert, das Finanzkapital bekommt seine Ohrfeigen und gerade die Schauspielerinnen um Anna Keil, Runa Pernoda Schaefer, Katrin Kaspar und Flora Pulina sorgen für pralle Sinnlichkeit. Das Publikum, quer durch alle Altersstufen, dankt es mit langem Applaus.