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Dokumentarfilm über Erfurter Amoklauf Dokumentarfilm über Erfurter Amoklauf: Eine Antwort reicht nicht für die Frage nach dem Warum

Von Andreas Montag 11.03.2004, 07:32
Die Filmemacher Thomas Schadt und Knut Beulich, aufgenommen nach der Vorführung des Dokumentarfilms «Amok in der Schule» am Mittwoch (10.03.2004) in Erfurt im Audimax der Universität. Sie hatten den Film im Auftrag des Südwestrundfunks (SWR) produziert. Darin nähern sie sich streng dokumentarisch durch Interviews mit vielen Beteiligten der Vorgeschichte des Amoklaufs am Erfurter Gutenberg-Gymnasium. (Foto: dpa)
Die Filmemacher Thomas Schadt und Knut Beulich, aufgenommen nach der Vorführung des Dokumentarfilms «Amok in der Schule» am Mittwoch (10.03.2004) in Erfurt im Audimax der Universität. Sie hatten den Film im Auftrag des Südwestrundfunks (SWR) produziert. Darin nähern sie sich streng dokumentarisch durch Interviews mit vielen Beteiligten der Vorgeschichte des Amoklaufs am Erfurter Gutenberg-Gymnasium. (Foto: dpa) dpa

Erfurt/MZ. - In der DDR, sinniert Robert Steinhäusers Mutter, wäre er vielleicht Elektriker geworden. Und beeilt sich zu versichern, dass die Wende gut gewesen sei - offenbar befürchtet sie, ihr Gedanke könnte als politische Schuldzuweisung aufgefasst werden. Oder gar als Entschuldigung für das, was ihr Sohn am 26. April 2002 im Erfurter Gutenberg-Gymnasium, von dem er ein halbes Jahr zuvor verwiesen worden war, getan hat: 16 Menschen tötete er, dann sich selbst. Die Mutter sucht eine Erklärung für das, was nicht - oder doch nicht völlig zu erklären ist. Eine Antwort auf das quälende Warum. Aber eine Antwort reicht nicht aus für diese Frage. Keine Antwort reicht aus, um Ruhe zu finden. Das ist das Thema von "Amok in der Schule". Unter diesem Titel wird der Film von Thomas Schadt und Knut Beulich in der ARD gesendet werden. Am Dienstagabend ist der 90minütige Streifen im Audimax der Erfurter Universität uraufgeführt worden. "Amok in der Schule" klingt ein bisschen reißerisch, "Schrei nach Veränderung" (so heißt eine Schülergruppe, die sich unmittelbar nach Roberts Tat zusammenfand und immer noch besteht) haben die Filmemacher ihre außerordentliche, tief berührende Spurensuche selber genannt. Die Spur führt zu uns, mitten ins kalte Herz der Zeit. Freilich gilt das Warum zuerst dem Täter, der Film versucht nicht, von Roberts Schuld abzulenken. Aber Robert ist kein irrer Killer, kein Psychopath gewesen. Wenn er als Monster denkbar wäre, fielen die Erklärungen leichter. Schwer wiegen Trauer und Zorn der Hinterbliebenen. Das Massaker hängt ihnen wie ein Trauma an, Thomas Schadt und Knut Beulich geben ihnen die Zeit, um in Ruhe darüber zu sprechen. Auch Roberts Eltern und seinem Bruder, die allerdings nur unter der Bedingung einwilligten, verfremdet zu erscheinen. Schauspieler haben ihnen ihre Stimmen geliehen. Und Herbert Grönemeyer spricht einen Text von Robert Steinhäuser: "Ich denke, ich stehe noch am Anfang meines Lebens", schrieb der 17-Jährige in einem Aufsatz. Damit beginnt und endet der Film. Aus großer Höhe blickt die Kamera über Erfurts Altstadt. Ein friedliches Bild, durch das ein unsichtbarer Sprung läuft. Aber was hier geschah, hätte in jeder Stadt geschehen können. Dies ist eine der wichtigsten Botschaften von Schadt und Beulich. Ohne Kommentar, ohne moralines Zutun. Die Zeugen sprechen selbst. Einer erzählt, wie er, fast betäubt nach der Todesnachricht, seiner kleinen Tochter erklären musste, dass die Mama nie wieder kommt. Ein anderer hadert mit sich selbst und seinen christlichen Überzeugungen: Plötzlich ist Rache denkbar, die Todesstrafe für Mörder ein Thema. Und die Schüler der Gruppe "Schrei nach Veränderung"? Sie begehren dagegen auf, dass es wieder nach der alten Ordnung von Leistungsdruck und Hackordnung geht. Die Pastorin Ruth-Elisabeth Schlemmer spricht von der Angst, nichts verändern zu können und macht gerade durch das Bekenntnis ihres Zweifels Mut. Und Robert Steinhäusers Eltern schlagen ein Familienalbum auf, in dem sie keine Zeile mehr umschreiben können: Wenn sie mehr geredet, mehr nach dem Jungen gesehen hätten. Ein halbes Jahr lang hat er so getan, als ginge er noch zur Schule. Bis er dann ein letztes Mal hingegangen ist. Der Film behauptet nicht, eine Antwort liefern zu können. Man wird also nicht umhin kommen, über ihn nachzudenken. Hoffentlich findet er ein großes Publikum. "Amok in der Schule", 21. April, 23Uhr, ARD

Schüler des Gutenberg-Gymnasiums legen am Samstag (26.04.2003) auf dem Domstufen des Erfurter Doms während der Gedenkfeier für die Opfer des Schulmassakers 16 Blumengebinde nieder. (Foto: dpa)
Schüler des Gutenberg-Gymnasiums legen am Samstag (26.04.2003) auf dem Domstufen des Erfurter Doms während der Gedenkfeier für die Opfer des Schulmassakers 16 Blumengebinde nieder. (Foto: dpa)
dpa