Dietrich Bonhoeffer Dietrich Bonhoeffer: «Das Wirkliche tapfer ergreifen»

Wittenberg/MZ. - Da war ein Einzelner gegen der Masse der Marschierenden, der Grölenden, der Gefolgsamen entgegengetreten - aus eigenem Antrieb, auf eigene Rechnung, im Geist Jesu Christi.
Sehr früh, sehr scharf hatte er erkannt, welches Schreckensregime die Nazis bringen würden. 1934 hatte er ein pazifistisches Manifest entworfen und die Kirchen in einer rasenden Welt zum "Konzil des Friedens" aufgerufen. Freiwillig kehrte er 1939 aus Amerika zurück, schloss sich dem Widerstand an. Das Odium des Vaterlandsverräters lag über ihm. Als die Deutschen noch im Siegestaumel schwelgten, betete er "für die Niederlage seines Vaterlandes".
Ich kann mir mein Leben und meine theologische Existenz ohne ihn nicht denken. Ich lese ihn seit über vier Jahrzehnten wieder und wieder. Er gibt mir Orientierung, macht Mut, mutet zu. Christsein ist keine Ein- und Unterordnung, sondern gewissensgeprüftes, eigenständiges Handeln. Freiheit ist als Ruf in die Verantwortung zu verstehen, statt sich nur Pflichten, Gesetzen, Aufträgen zu beugen.
Welche Gratwanderung! Weder opportunistisch leben, noch theoretisch zuschauend alles kritisieren, sondern Mitverantwortung übernehmen, Schuldigwerden riskieren, bei allem Tun und Lassen fragen, wie eine kommende Generation leben soll. "Nicht im Möglichen schweben, sondern das Wirkliche tapfer ergreifen - das ist Freiheit." Der Freie hält sich nicht heraus, sondern er mischt sich ein. 1943 schreibt er: "Nicht Genies, nicht Zyniker, nicht Menschenverächter, nicht raffinierte Taktiker, sondern schlichte, einfache, gerade Menschen werden wir brauchen."
Er hält in jener dunklen Zeit unseres Volkes Optimismus für eine Lebenskraft, die Kraft, den Kopf hochzuhalten, wo alles fehlzuschlagen scheint. Er weiß um die innerste Gespaltenheit unseres Selbst - zwischen Tapferkeit und ängstlichem Verzagen. Nichts dürfe uns dazu bringen, andere prinzipiell zu verachten, denn "nichts von dem, was wir im anderen verachten, ist uns selber ganz fremd".
Und nichts hat Bonhoeffer so gefürchtet wie die Dummheit. Ein großer Teil der Menschheit sei bei großer politischer oder religiöser Machtentfaltung mit Dummheit geschlagen. "Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen. Es wird darauf ankommen, ob Machthaber sich mehr von der Dummheit oder von der inneren Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprechen." Das bleibt eine Kardinalfrage der Demokratie. Sie ist auf mündige Menschen angewiesen. Und Gott wartet und antwortet auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten. Widerstand braucht Ergebung und Ergebung trägt den Widerstand. Bonhoeffer hat sein Christsein beglaubigt, nicht nur mit seinem Martyrium, sondern mit jedem Tag, den er mit Stil und in Dankbarkeit gelebt hat.
Der Theologe Friedrich Schorlemmer ist Studienleiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg.