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Alles halb so palim Dieter Hallervorden: Tim Pröse veröffentlicht Biografie "Ein Komiker macht Ernst"

Von Christian Eger 12.10.2017, 19:39
Schauspieler, Theaterintendant, Wutbürger: Dieter Hallervorden, 82, Ehrenbürger von Dessau
Schauspieler, Theaterintendant, Wutbürger: Dieter Hallervorden, 82, Ehrenbürger von Dessau dpa

Halle (Saale) - Die Stasi hatte ihn immer im Blick. Sofort nachdem Dieter Hallervorden 1958 die DDR nach Westberlin verlassen hatte, stellte ihm die Geheimpolizei nach. Unter dem Decknamen „Diehl“ wird der 1935 in Dessau als Sohn eines Junkers-Flugzeugkonstrukteurs geborene Schauspieler überwacht.

Der hatte sich als Romanistik-Student an der Humboldt-Universität als freier Übersetzer für öffentliche Auftritte ausländischer Gäste etwas Taschengeld verdient. Allerdings mit sehr freien Übersetzungen. Hallervorden, der bereits 1953 beim Dessauer Gedenk-Marsch für den toten Stalin den Gruß vor einem leeren Parade-Sarg verweigern wollte, nahm kein Blatt vor den Mund. In seinen Übersetzungen sprach er den politischen Klartext, der ihm in der DDR fehlte.

Biografie über Dieter Hallervorden: er  wollte aus dem S-Bahn-Fenster auf Walter Ulbricht schießen

Für die war der Mann, der der erfolgreichste deutschsprachige Komiker der 1970er Jahre werden sollte, ein unberechenbarer Gegner. Hallervorden „steht im Verdacht, mit imperialistischen Geheimdiensten zusammenzuarbeiten“, heißt es in den Akten, die der Schauspieler 2013 erstmals in die Hände bekam.

„Leicht abstehende rote Ohren, etwas verlebtes Aussehen“, stellt die Personenbeschreibung fest. Sogar in die Westberliner Aufführungen von Hallervordens Kabarett „Die Wühlmäuse“ schleppen sich die Geheimdienstler. „Niveaulos, unglaublich flach und dumm“, sei das Programm. „Trotzdem durch eine scharfe antikommunistische Tendenz gefährlich.“

In der Tat. Im Westen war Hallervorden einer Burschenschaft beigetreten. Allein deshalb, weil die ein mietfreies Zimmer anbot. Ein Service, den viele Ostflüchtlinge nutzten, die sich gegenseitig in ihrer DDR-Gegnerschaft bestärkten.

Hallervorden entwarf Flugblätter, schmuggelte verbotene Bücher und phantasierte mit einem Freund sehr genau von einem Attentat auf Walter Ulbricht. Das sollte aus dem offenen Fenster eines fahrenden S-Bahn-Waggons geschehen. Neben der Werner Seelenbinder-Halle, nah an den Gleisen, spielte Ulbricht öfter Tennis. Hallervorden sollte die Waffe besorgen. Eine Freundin seines Partners hielt das Duo von seinem riskanten Plan ab.

Dieter Hallervorden: Seine Rolle Didi ist der deutsche Vorläufer von Mister Bean

Der Dessauer Ehrenbürger, der mit seiner Kultfigur Didi einen erzdeutschen Vorgänger von Mister Bean erfunden hatte, war stets mehr als der Mann, der - Klingelzeichen: Palim, Palim! - Pommes in Flaschen bestellt. Oder, um Hallervordens blitzgescheiten Schauspieler-Kollegen Ilja Richter zu zitieren: nur „halb so palim“. Den Mann hinter den Stereotypen versucht jetzt der Journalist Tim Pröse zu zeigen, der den Schauspieler in Frankreich, wo er eine Insel besitzt, und in Berlin begleitete, um nun ein Buch (bei Amazon kaufen) vorzulegen.

Nicht das erste. 2005 hatte Hallervorden eine Autobiografie veröffentlicht. Zu früh, wie er heute sagt. Erst danach gelang ihm mit Kinofilmen wie „Sein letztes Rennen“ (2013) und dem Kassenschlager „Honig im Kopf“ (2014) die Befreiung vom Didi-Klischee. Der Sprung aus der Wanne, die immer voll ist, in die Existenz als Intendant des Schlossparktheaters in Westberlin und als preisgekrönter Charakter-Darsteller. „Jetzt! Jetzt endlich lässt man mich!“

Dieter Hallervorden: Widerstandslos wird er von Depressionen heimgesucht

Tim Pröse erzählt nicht nur. Er lässt auch reden. Er führt Interviews mit Hallervordens Tochter aus der ersten Ehe mit der „Nonstop Nonsens“-Partnerin Rotraud Schindler, mit Johannes, Sohn aus der zweiten Ehe, die nicht geschieden ist, und mit seiner Lebensgefährtin, der 35 Jahre jüngeren Stunt-Frau Christiane Zander.

In seiner Vielstimmigkeit findet das Buch seine Stärke. Pröse, der gern einer Neigung zum Kitsch nachgibt („bestünde Hallervorden aus bloß einer Farbe, wäre es die Farbe Blau“), ist dort gut, wo er sich kurz fasst. Also meistens dann, wenn er fragt.

Hallervorden, wie ihn das Buch zeigt: ein in sich gekehrter, widerstandslos von Depressionen heimgesuchter Mann; sein Aktivismus, der keine Freizeit kennt, ist die Kehrseite dieser notorisch angespannten Existenz. Eines Lebens unter Dauerstrom. Ein Mensch, den eine Grundwut vorantreibt. Auch auf die Kritik aus der Branche. Wobei Ilja Richter einschränkt: „Wenn man jahrzehntelang am Kronleuchter hängt, muss man sich nicht wundern, wenn das Publikum unten johlt und mehr davon will.“

Am Schminkspiegel von Dieter Hallervorden klemmt ein Foto des Romanisten Viktor Klemperer

Pröses Buch bietet das Andere. Den Hallervorden ohne Clownsnase. Den Theatermenschen, dessen Spiel und Einsatz immer auch etwas Mutwilliges eignen. Den liberalen Wutbürger, an dessen Spiegel in der Kabine im Schlossparktheater auch ein Foto des großen, von den Nazis verfolgten Romanisten Viktor Klemperer klemmt.

Dessen Ostberliner Vorlesungen hatte Hallervorden bewundert, dessen öffentliche Blindheit vor der DDR-Realität aber hatte ihn abgestoßen. Hallervorden, eine deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte, die hier nicht entschlüsselt, in ihren prägenden Momenten aber kontrovers sichtbar wird.

››Tim Pröse: Hallervorden. Ein Komiker macht Ernst (bei Amazon kaufen). Hoffmann und Campe, 256 Seiten, mit Abb., 20 Euro (mz)