Die Sache mit dem Sex Die Sache mit dem Sex: Margarete Stokowski überrascht mit neuem Buch

Halle (Saale) - „Sexualität wird etwas Intimes bleiben, egal wie frei und aufgeklärt wir sind“, schreibt Margarete Stokowski in ihrem Buch mit dem schönen, provozierenden Titel „Untenrum frei“, erschienen im Rowohlt-Verlag. Die Autorin, geboren 1986 in Polen und seit 1988 in Deutschland zu Hause, kennt man als Kolumnistin der Berliner Tageszeitung „taz“ oder von „Spiegel Online“. Nun hat sie über Sex und die ganze Verwirrung geschrieben, die es darum gibt.
Es ist ein ganz und gar wunderbares Buch geworden. Eines, das man seinen heranwachsenden Kindern schenken sollte und unbedingt sich selber auch, egal ob Frau oder Mann. Und dann wird man vielleicht darüber sprechen wollen, erst einmal mit sich selbst, dann auch mit anderen. Es ist ein Text, der Türen und Fenster öffnen kann, so ehrlich und offen kommt er daher, ohne jedoch jemals schamlos oder peinlich zu sein.
Der Autorin, die Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin studiert hat, gelingt das Kunststück, Menschen für ihr Thema zu interessieren, nicht für eine „Sache“, um die noch immer so viele Geheimnisse gemacht werden, dass sie ihr Geheimnis, das Intime eben, das ja das Schöne ist, darüber verliert.
Margarete Stokowski erzählt über weite Passagen von sich, sie will nichts verlieren, nicht das Schöne und Lustige, aber auch das Schlimme nicht, das ihr passiert ist. Die Fahrt mit dem netten Mann aus der Nachbarschaft, der anbot, sie mitzunehmen, aber in den Wald fuhr und sie dann in seinem Familienauto, Kindersitz auf der Rückbank, missbraucht hat: „Am Ende gab er mir ein Taschentuch, wegen der Tränen, und brachte mich nach Hause.“
Margarete Stokowski erzählt präzise über ihre Vergewaltigung
Sie hat jahrelang nicht darüber gesprochen, hat für sich selbst erst spät benennen können, was damals geschehen war: eine Vergewaltigung. Präzise erzählt Margarete Stokowski davon, die Worte genau gewählt. Es tut einem weh, das zu lesen. Und es ist gut, dass es aufgeschrieben worden ist.
Es könnten einem dabei auch oft nur angedeutete Erzählungen anderer Frauen wieder einfallen, denen Ähnliches geschehen ist. Die nicht die Sprache dafür fanden. Sich vielleicht sogar schämten für die Tat, deren Opfer sie doch geworden sind. Oder nicht genug Vertrauen zu fassen vermochten.
Die Autorin hat das Vertrauen in sich und ihre Leserinnen und Leser, über alles zu schreiben: Wie Mädchen (und Jungen) in ihre Geschlechterrollen wachsen. Wie sie sich als Pubertierende einen Reim auf ihren Körper und auf Sexualität machen. Wie sie die Ratschläge diverser Magazine lesen und einander erzählen, was sie wissen, so wenig das in vielen Fällen ist: „Am Ende macht man eh einfach hoch, runter, hoch, runter, fertig“, hat ein Mädchen den beeindruckten Freundinnen erzählt. Da ging es um die Technik, wie Frau ein Mannsbild am besten mit der Hand befriedigt.
Gerade auch über die Mechanismen der „Abwicklung“ von Sex wird in diesem Buch viel gesagt. Über die absurden, aber gesellschaftlich eingeschliffenen Erwartungen, was Frauen alles tun müssten, damit es ihm, dem Mann, nur gut geht und er einen tollen Orgasmus erlebt - unabhängig davon, ob es ihnen selbst Genuss bereitet oder nicht. Da wird die Frau der Autorin zufolge noch immer zur Sex-Dienstleisterin gemacht.
Klar, hier spricht eine Feministin, aber das Reizwort lässt einen gar nicht mehr erbleichen. Margarete Stokowski macht sich zudem selbst über die Klischees, die darüber gehandelt werden, lustig. Und sie setzt eine eigene, klare Definition dagegen: „Für mich bedeutet Feminismus, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität und ihrem Körper dieselben Rechte und Freiheiten haben sollen“, schreibt sie. Dem kann man vernünftigerweise nur zustimmen. Auch als Mann.
Margarete Stokowski: „Untenrum frei“, Rowohlt, 256 S., 19,95 Euro
Die Autorin liest und diskutiert am 6. April um 18.30 Uhr im Dachsaal am Campus Design (Neuwerk 7) der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. (mz)