Archäologie Die Nofretete lockt seit 100 Jahren
„Beschreiben nützt nichts, ansehen.“ Grabungsleiter Borchardt umschreibt schon früh die Anziehungskraft der Nofretete. Von Berlin aus verbreitet sich seit 100 Jahren der Reiz der altägyptischen Büste.
Berlin/Kairo - Hier gleicht der Museumsbesuch einer Audienz. Sie allein beherrscht den Kuppelsaal. Hinter einer mächtigen Konstruktion aus schützendem Glas thront Nofretete, scheinbar losgelöst von Zeit und Raum. Vor der Büste der altägyptischen Königin lassen sich jährlich Hunderttausende in den von Lichteffekten verstärkten Bann ziehen. Die Stimmen im Nordkuppelsaal des Neuen Museums scheinen noch gedämpfter zu klingen als in anderen Teilen auf der Berliner Museumsinsel. Vor 100 Jahren wurde die Figur hier erstmals öffentlich präsentiert. Die gerade mal 49 Zentimeter Kalkstein, bemalter Stuck, Wachs und Bergkristall sichern sich schon bald nach der Ausstellungseröffnung am 1. April 1924 weltweiten Ruhm - und anhaltende Forderungen.
Ludwig Borchardt, Leiter der Grabung im ägyptischen Tell el-Amarna, notiert neben einer Skizze der Büste in seinem Tagebuch: „Farben wie eben aufgelegt. Arbeit ganz hervorragend.“ Doch Sprache scheint ihm für Nofretete kaum auszureichen. „Beschreiben nützt nichts, ansehen.“
Am 6. Dezember 1912 wird die Büste gefunden. Bei der zuvor vereinbarten Fundteilung steht auf ägyptischer Seite der „Klappaltar von Kairo“ ganz oben. Die Deutschen wollen unbedingt die Nofretete. Die Büste wird damit Eigentum des Berliner Unternehmers und Mäzens James Simon. 1920 vermacht er die Büste zusammen mit zahlreichen anderen Kunstwerken den Berliner Museen. Bis zur ersten Präsentation bleibt sie weitere vier Jahre unter Verschluss.
„Sie wird als eine Greta Garbo gesehen“
Die historische Nofretete lebt im 14. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung als Hauptgemahlin von Pharao Amenophis IV., dem späteren Echnaton. Gesicherte Informationen über sie gibt es kaum, zum Zeitpunkt der Krönung von Amenophis ist Nofretete vermutlich 12 bis 16 Jahre alt.
Der Historiker Sebastian Conrad ist sich sicher: „Wenn Nofretete, nachdem sie 3000 Jahre da im Wüstensand verborgen lag, einfach noch ein paar Jahre durchgehalten hätte, dann wäre sie jetzt in Kairo. Da gibt es überhaupt kein Vertun.“ Conrad gehört zu den vielen Wissenschaftlern, die sich in den vergangenen Jahrzehnten mit der Büste - und dem Streit darum - befasst haben. Sein Buch „Die Königin. Nofretetes globale Karriere“ erscheint an diesem Donnerstag (1. Februar).
Conrad verweist auf die Entwicklung im damaligen Ägypten nur wenige Jahre nach Entdeckung der Nofretete. Als etwa Howard Carter 1922 im Tal der Könige das Grab des altägyptischen Königs Tutanchamun entdeckt, ist die Ausfuhr der Funde bereits verboten.
Nofretete kann dagegen von Berlin aus ihren Weltruhm begründen. „Der Moment der ersten Präsentation, der ersten Ausstellung in den 20er Jahren spielt eine ganz zentrale Rolle“, sagt Conrad im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Nofretete entspricht den Schönheitsvorstellungen der damaligen Zeit. Wenn man so will, wird sie als eine Greta Garbo gesehen.“ Die Präsentation in Europa sorge zudem dafür, dass sie in Berlin, schnell auch in Westeuropa und den USA zu einer Ikone werde. „Das ermöglicht dann auch ihre weltweite Resonanz.“
Herrscherin der Museumsinsel
Daran ändert auch das nur eine Auge aus eingefärbtem Bienenwachs mit dünnem Bergkristall nichts. Das fehlende linke Auge wurde nie gefunden - wenn es denn existiert hat. Nofretete wird Kultobjekt, erscheint als Figur der Duck-Familie, inspiriert Mode, Musik und Filme, wird in der Kunst etwa von Isa Genzken auf neue Bedeutungsebenen gehoben. Wer mag, kann sich für fast 10 000 Euro auch eine farbige Kopie der Büste anfertigen lassen.
Im Laufe eines Jahrhunderts hat sich Nofretete zur Herrscherin auch der Museumsinsel entwickelt. Ihrer Anziehungskraft können vielleicht noch Pergamonaltar und Ischtar-Tor in den benachbarten Museen etwas Strahlkraft entgegensetzen.
„Im Louvre in Paris schauen sich die Leute die Mona Lisa an, ob sie sie ästhetisch ansprechend finden oder nicht“, sagt Conrad. „In Berlin ist die Nofretete der Star der Ausstellungen auf der Museumsinsel. Sie ist ein ökonomischer Faktor, ein Magnet für die Museen, insofern auch bares Geld wert.“
Doch Nofretete ist nicht nur schön. „Sie steht für diese Ursprungserzählung der Moderne“, sagt Conrad. Es sei der Moment, „in dem Monotheismus, Rationalität und Individuum erfunden werden. Das ist dieses Narrativ, was seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts gestrickt wird.“
Ist die Rückgabe eines solchen Symbols, einer solchen Touristenattraktion vorstellbar? Für Ägypten ist die Tatsache, dass dieses Kronjuwel der ägyptischen Antike nicht in Kairo, sondern in Berlin-Mitte steht, bis heute eine bittere Enttäuschung. Solche Schätze sind in Ägypten nationaler Stolz und bedeuten wichtige Einnahmen im Tourismus, während das Land unter einer schweren Wirtschaftskrise ächzt. „Die Nofretete hat Ägypten auf illegale Weise verlassen“, sagt Zahi Hawass, ehemaliger Antikenminister und seit Jahren an der Spitze des Kampfs für ihre Rückführung. Es sei sein „großes Ziel“, Deutschland zur Rückgabe zu bewegen, sagt Hawass der dpa in Kairo.
„Nofretete hat Ägypten auf illegale Weise verlassen“
Hawass, heute eine Art Popstar der Archäologie und bekannt als „der echte Indiana Jones“, ist wie viele andere Experten der Auffassung, Grabungsleiter Borchardt habe bei der Fundteilung getrickst. Die Büste sei unrechtmäßig nach Berlin bekommen, Borchardt habe sie sogar mehr als zehn Jahre lang vor der Öffentlichkeit versteckt.
„Ich habe alle Dokumente und Beweise gesammelt, um zu belegen, dass Borchardt sie gestohlen hat“, sagt Hawass. Die Nofretete sei ein „nationales Artefakt“ und gehöre ins neue Große Ägyptische Museum an den Pyramiden von Giseh. Besucher werden dort bei Touren gebeten, Hawass' Petition zu unterzeichnen unter anderem auch zur Rückgabe des Steins von Rosetta aus dem British Museum in London. Diese Petition hat derzeit 214 000 Unterzeichner - Hawass hofft auf eine Million und will dann auch im Rückgabe-Streit mit Berlin einen neuen Anlauf starten. „Ich werde niemals aufgeben“, sagt Hawass.
Aus Sicht der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu der das Neue Museum gehört, wurde die Büste im Rahmen einer von der ägyptischen Antikenverwaltung genehmigten Grabung gefunden und nicht illegal außer Landes gebracht. Für Stiftungspräsident Hermann Parzinger ist die Lage eindeutig. „Es ist belegt, dass bei der Fundteilung vorher beiden Seiten eine komplette Liste aller Funde vorlag, und von den besseren Stücken sogar Fotos. Es gibt eine ganze Serie an Schwarzweiß-Fotos, aus allen Blickwinkeln.“ Das sei auch schon mehrfach publiziert worden.
„Der deutsche Anspruch auf diese Büste ist zumindest sehr zweifelhaft“, sagt Historiker Conrad. Heute würde niemand mehr eine Regelung wie 1912 akzeptieren. „Diese Gesetze sind eigentlich das, was Juristen sittenwidrig nennen.“ Schon zu dieser Zeit hätte niemand Funde etwa in Italien oder Griechenland mitnehmen können. Für den Historiker sind „die ägyptischen Ansprüche nicht weniger plausibel als die deutschen“.
Conrad schlägt vor, „das Konzept von Weltkulturerbe wörtlich zu nehmen, eine internationale Organisation mit dem Besitz zu beauftragen und dann auch unterschiedliche Ausstellungsorte auf die Art und Weise zu ermöglichen.“ Noch aber hat Herrscherin Nofretete ihren majestätischen Sitz in Berlin.