"Die Benjamins - Eine deutsche Familie" "Die Benjamins - Eine deutsche Familie": Geschichte zwischen Ost und West

Halle (Saale)/MZ - Eine deutsche Familiengeschichte, wie sie selbst für das an Konflikten und Tragödien nicht arme 20.?Jahrhundert nicht alltäglich ist. Obendrein eine, die natürlich mit Nazis und Widerstand, mit Niedertracht und Verzweiflung zu tun hat. Der Kalte Krieg spielt eine Rolle. Und Rache auch. Eine Geschichte, die in Teilen bekannt, aber im Zusammenhang selten, wenn überhaupt betrachtet worden ist.
Uwe-Karsten Heye, Jahrgang 1940, als Redenschreiber für Willy Brandt gestartet und später Regierungssprecher in der Ära von dessen sozialdemokratischem „Enkel“ Gerhard Schröder, hat sich in den letzten Jahren als Autor profiliert. In diesem Frühjahr legte er nun im Aufbau-Verlag den Band „Die Benjamins“ vor, dem er den Untertitel „Eine deutsche Familie“ gab.
Interesse am Widerspruch
Das ist durchaus erwähnenswert, weil programmatisch für die Machart des Buches. Heye hat anhand bisher wenig beachteten Archivmaterials und aus Gesprächen mit Zeitzeugen ein Gesamtbild zu entwerfen versucht - das den prominenten, aber unterschiedlich bewerteten Mitgliedern der Familie Gerechtigkeit zuteil werden lässt.
Zugleich, so Heyes Hoffnung, soll Interesse an widersprüchlichen Entwicklungen - und am Widerspruch überhaupt geweckt werden. Geschichte und das Agieren von Personen in ihr lassen sich ja keineswegs in Aktenordnern einsortieren, die man bei Bedarf aus der Hängeregistratur ziehen könnte.
Die aufregendste Figur des Buches ist natürlich Hilde Benjamin, eine gebürtige Bernburgerin übrigens. Als „rote Hilde“ oder „das Fallbeil“ des Stalinismus in der DDR bezeichnet, ist sie von vielen als wahre Hassfigur verinnerlicht worden. Was weniger bekannt ist: Die Juristin (1902 bis 1989), die tatsächlich gnadenlos verfuhr mit gnadenlosen alten Juristen wie tatsächlichen oder vermeintlichen Feinden des Sozialismus, hat selber ein Opferschicksal: Ihr Mann Georg Benjamin, Jude, Arzt, Kommunist und Widerstandskämpfer, ist 1942 im Konzentrationslager Mauthausen umgekommen.
Und ihr Schwager Walter, Georgs Bruder, der kein Kommunist, aber ein freier und den Nazis deshalb verhasster Denker von Rang war, hat sich auf der Flucht im spanischen Küstenort Portbou das Leben genommen. Der weltbekannte israelische Künstler Dani Karavan hat dort einen ebenso monumentalen wie schlichten Erinnerungsort für den bedeutenden Philosophen Walter Benjamin eingerichtet. Als das Mahnmal vor 20 Jahren, am 15.?Mai 1994, eingeweiht wurde, hat Michael Benjamin, Walters Benjamins Neffe, daran erinnert, dass sein Onkel „als Flüchtling starb, dem das Asyl verweigert wurde“, wie Heye berichtet.
Der Autor schildert auch Michaels Schicksal. Der Sohn von Hilde und Georg Benjamin wurde bis zum Ende der NS-Herrschaft als „Halbjude“ verfolgt und erlangte später als Jurist und 1999 mit einem umstrittenen Bekenntnis zur Berliner Mauer Bekanntheit.
Sorge um das Auseinanderdriften der Geschichtsbilder
Uwe-Karsten Heye will mit seinem Buch keineswegs die politischen Unrechtsurteile der DDR-Justiz relativieren. In diesem Verdacht kann einer, der durch die Schule Willy Brandts gegangen ist, der selber seine Erfahrungen mit den Kommunisten hatte, kaum geraten. Worum es Heye geht: Er sorgt sich um das Auseinanderdriften der Geschichtsbilder.
„Wie bekommen wir es hin, dass sich nicht am Ende eine ost- und eine westdeutsche Geschichtsschreibung gegenüberstehen?“, hat der Autor zur Leipziger Buchmesse gefragt. Die Frage ist schwer zu beantworten, die Lage vertrackt: Wir leben in einer Zeit, die 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hervorragende Chancen bietet, mit einer differenzierten, von ideologischen Schlacken befreiten, aber keineswegs revisionistischen Geschichtserkundung zu beginnen. Viele früher verschlossene Quellen sind nun zugänglich, moderne Recherche- und Kommunikationsmöglichkeiten erleichtern die Arbeit. Aber ein sprunghaftes Anwachsen der Neugier auf unser kompliziertes Herkommen ist nicht zu verzeichnen. Heye versucht, mit seinem Buch über die Benjamins dagegenzuhalten.
Uwe-Karsten Heye: „Die Benjamins“, Aufbau-Verlag Berlin, 361 Seiten, 22,99 Euro.
