"Das Buch ä" Die Ärzte Bela B. Felsenheimer Farin Urlaub Rodrigo Gonzales veröffentlichen "Das Buch ä"

Halle (Saale) - „Es gibt nur einen Gott - Bela, Farin, Rod“, dichteten sie kurz nach ihrem spektakulären Comeback, als plötzlich die ganze Republik einer Band zu Füßen lag, die in ihrem ersten Leben ein Fall für Freunde rumpeliger deutscher Punkmusik gewesen war. Nicht mehr jetzt, nach dem Neustart, den Bela B. Felsenheimer und Farin Urlaub, begleitet vom früheren Rainbirds-Bassisten Rodrigo Gonzales, in Angriff genommen hatten. Das Kult-Trio wird zum Umsatzgaranten, die niedlichen schrägen Drei-Akkorde-Songs zu Mega-Hits. „Schrei nach Liebe“ und „Männer sind Schweine“ etablieren die drei Berliner auf Augenhöhe mit Westernhagen, Grönemeyer und den Toten Hosen.
Die Ärzte sind drei Leben in zwei Biografien
Es gab nur einen Gott, eben Bela, Farin und Rod, die sich mit diesem einen, in sich selbst verdrehten Satz völlig zutreffend beschrieben. Nach eigener Auffassung aber nicht erschöpfend genug, denn nach der ersten monumentalen Band-Biografie „Die Ärzte. Ein überdimensionales Meerschwein frisst die Erde auf"legen die Ärzte nun mit „Das Buch ä“ eine zweite voluminöse Lebensbeichte ab.
Stefan Üblacker, geboren in Wernigerode und mit 16 Jahren Schöpfer der Ärzte-Fanseite die-beste-band-der-welt.de, hat zwei Jahre lang Material gesammelt, mit unzähligen Protagonisten der Ärzte-Laufbahn gesprochen und die drei Hauptakteure interviewt. Herausgekommen ist eine Art Ärzte-Bibel: 768 Seiten, die die kaum zu erwartende und unter heutigen Bedingungen unwiederholbare Karriere zweier großer Selbstironiker aus der Innensicht schildern.
Die späteren Superstars Ärzte sind anfang nicht von Erfolg verwöhnt
Am Anfang sind da nur zwei junge Männer, die von einem Leben voller Musik träumen. Bela B., als Dirk Felsenheimer geboren und im Haushalt einer alleinerziehenden Mutter in einer Westberliner Sozialbausiedlung aufgewachsen, will eigentlich Comiczeichner oder Polizist werden, betätigt sich aber nebenbei in einer leidlich erfolglosen Punkband namens Soilent Green. Als deren Gitarrist das Instrument gestohlen wird, springt Jan Vetter ein, der sich später augenzwinkernd nach seinem Hobby benennen wird: Farin Urlaub.
Die beiden heutigen Superstars sind nicht eben ein Erfolgsduo. Die Karriere der Ärzte schleppt sich eher schlecht als recht dahin und der Humor der anfangs der Funpunk-Szene zugerechneten Combo wird häufig nicht verstanden. So setzt die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien gleich drei Alben der Band auf den Index, weil Stücke wie „Geschwisterliebe“ und „Claudia hat ’nen Schäferhund“ dazu angetan sein sollen, die sexuelle Entwicklung von Jugendlichen zu stören.
Für die Ärzte gibt es wenig zu essen und viel Medienkritik
Im Rückspiegel Heldentaten, denn der Kampf gegen die Zensur verschafft den Ärzten einen ernsthaften Anstrich. Damals aber steht die Band vor dem Aus: Der Handel darf die Platten nicht mehr verkaufen, die Plattenfirma ist unzufrieden, es gibt wenig zu essen und viel Medienkritik.
Zumindest auf Tournee hilft das: Die Hallen sind voll, die Fans euphorisch. Mädchen brechen vor der Bühne zusammen und mit der eingedeutschen Version eines Bangles-Stückes namens „Geh’n wie ein Ägypter“ landen die Ärzte sogar zum ersten Mal in der Hitparade.
Typisch ist die Reaktion der beiden Bandgründer: Sie beschließen, Die Ärzte aufzulösen. Noch eine Platte, noch eine Tournee und das soll es gewesen sein. „Ich schlug die Auflösung nicht vor, weil ich uns in einer Sackgasse sah, sondern nur, weil sich das sonst niemand getraut hätte“, beschreibt Farin Urlaub heute die Motive hinter einer Entscheidung, die die Fans seinerzeit in Verzweiflung stürzte.
Abschiedsalbum „Nach uns die Sintflut“ erobert Platz 1 in den Charts
Marketingmäßig ist es die richtige Entscheidung. Das Abschiedsalbum „Nach uns die Sintflut“ erobert Platz 1 in den Charts, sogar eine als „Die Ärzte früher“ neu veröffentliche Zusammenstellung ganz alter Songs schafft mit Platz 4 mehr als alle Alben zuvor.
Dass die Pläne von Vetter und Felsenheimer, getrennt und mit eigenen Bands an den Erfolg anzuknüpfen, nicht aufgehen, wirkt nach den Schilderungen des Ärzte-Forschers Üblacker wie zwangsläufig. Ohne das einigende Band des „Ä“ fehlt es beiden an Esprit, ihre Bands King Køng und Depp Jones bleiben in der dritten Liga hängen, wo 300 Zuschauer locker in einem Klub herumstehen, der doppelt so viele Fans fassen würde.
Je kleiner die Hallen, desto größer - denken Vetter und Felsenheimer, nachdem sie sich auf ein Comeback geeinigt und den grandiosen Bassisten Rodrigo Gonzales als dritten Mann gewonnen haben. „Beste Band der Welt sucht Plattenfirma“ inserieren sie in einem Branchenmagazin - und ziehen einen Millionenvertrag an Land.
Die Ärzte auf dem Weg der Teenie-Band zur Rock-Institution
Es ist der Beginn dessen, was die Ärzte heute sind. Stefan Üblacker folgt dem Weg der Teenie-Band zur Rock-Institution, der auch ein Weg vom provokanten Blödel-Rock zu politischen Songs wie „Schrei nach Liebe“ oder „Friedenspanzer“, die ihre ernst gemeinten Botschaften in einem Säftchen aus Mitsing-Melodie und Schmunzeln darreichen.
Bela B., Farin Urlaub und Rodrigo Gonzales avancieren zu Superstars, die selbst die Grundmechanismen der Branche ignorieren können: Sie machen zu viele Platten, zu schnell hintereinander. Gehen unter falschem Namen auf Tour durch viel zu kleine Klubs. Und sie veröffentlichen ein Lied als Single, das nur 30 Sekunden lang ist. „Wir haben nie probiert, erfolgreich zu sein“, beschreibt Farin Urlaub, „wir haben uns immer nur gefragt, worauf haben wir Lust.“
Es soll ja auch Spaß machen, und den macht es offenbar immer noch. Unterbrochen von regelmäßigen und ausdauernden Pausen, in denen Farin Urlaub seinem Weltreise-Hobby nachgeht, haben Die Ärzte in ihrem zweiten Leben acht Studioalben und fünf Live-CDs herausgebracht, sie haben Stadien gefüllt und für MTV unplugged, mit der Disco-Truppe Village People und in Südamerika live gespielt.
Ist das nun das letzte Kapitel der Ärzte?
Selbst die Bedrohung, eines Tages ermüdet zu sein, weil der Erfolg so hartnäckig ist, haben sie gemeistert. Ein neuer Produzent, ein runderneuertes Umfeld und eine spürbare Abkehr vom sarkasmusgebadeten Stil der 80er und 90er Jahre. Mit Mitte 40 singt Bela B. ein „Lied vom Scheitern“ und mit „Vorbei ist vorbei“ schreibt Farin Urlaub eine ironiefreie Hymne. Die Stadien und Arenen werden noch größer, die Bühnenaufbauten aufwendiger, die Menschenmassen vor den Bühnen unüberschaubar.
Das letzte Kapitel? Üblacker, der Mann aus Sachsen-Anhalt, der die Binnenverhältnisse der Ärzte besser kennt als jeder andere, hat es zuletzt vermutet. 2012 das letzte Album, seitdem vier Jahre kein Konzert. Mit Mitte 50 scheinen Bela, Farin und Rod am Ende zu sein. Wäre da nicht ein Lichtblick gewesen: Ende August traten die Ärzte erstmals wieder live auf. Sie spielten nur ein Lied, das aber nicht irgendwo, sondern in Jamel, einem mecklenburgischen Dorf, in dem linke Bewohner von rechtsextremen Siedlern bedroht werden.
Die Ärzte spielten ihren Anti-Nazi-Song „Schrei nach Liebe“. Stefan Üblacker sagt, er wisse nicht, ob das ein Schlusspunkt war oder der Anfang des nächsten Neuanfangs. Beim Schreiben aber habe er festgestellt, „dass ich mit beiden Möglichkeiten leben könnte“. (mz)
Stefan Üblacker: Das Buch ä. Schwarzkopf & Schwarzkopf, 768 Seiten, 29,99 Euro
Direkt zur Band:www.bademeister.com
