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Dichter Sascha Kokot Dichter Sascha Kokot: "Lesen wandern staunen"

11.09.2014, 07:09
Sascha Kokot: Wir werden von der Landschaft geprägt.
Sascha Kokot: Wir werden von der Landschaft geprägt. A. Sophron Lizenz

Magdeburg - Der Schriftsteller Sascha Kokot erhält am Donnerstag um 17 Uhr im Literaturhaus Magdeburg den mit 5 000 Euro dotierten Georg-Kaiser-Förderpreis des Landes. 1982 in Osterburg (Landkreis Stendal) geboren, wuchs Kokot in der Altmark auf, wurde in Hamburg zum Informatiker ausgebildet und studierte ab 2006 am Literaturinstitut in Leipzig. 2013 veröffentlichte Kokot, der in Leipzig lebt, seinen ersten Gedichtband: „Rodung“ im Verlag Edition Azur. Die Fragen an Sascha Kokot stellte unser Redakteur Christian Eger.

Herr Kokot, Sie wuchsen in der Altmark auf, fernab der literarischen Zentren Sachsen-Anhalts. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Kokot: Zur Literatur kam ich durch die Landesliteraturtage. Diese Kulturreihe findet jedes Jahr an einem anderen Ort statt und bietet Autoren aus Sachsen-Anhalt ein interessantes Podium, um dort ihre Texte zu präsentieren. Als die Literaturtage vor 16 Jahren in meinem Geburtsort gastierten, wurde meine literarische Neugierde erstmalig geweckt. Eine Initialzündung - und dieser Kreisschluss freut mich in Anbetracht der Preisvergabe ganz besonders - war damals die Verleihung des Georg-Kaiser-Förderpreises. Ich besuchte die Veranstaltung als Schüler, um die Dankesworte und die anschließende Lesung des Preisträgers zu hören. Dieser Abend und die Schullesung eines weiteren Kaiser-Preisträgers am nächsten Tag beeindruckten mich so tief, dass ich kurz darauf mit dem Schreiben von Gedichten begann.

Sie schreiben in einem Ihrer Gedichte vom „Schwemmholz“ der Herkunft. Was ist damit gemeint?

Kokot: Ich kann eine einzelne Zeile nur im Kontext des restlichen Gedichtkorpus’ vollständig erläutern. Es sei aber so viel gesagt, dass in diesem Gedicht viele Faktoren zusammenfließen, die mich in meinem Schreiben umtreiben. Essentiell für mich ist die Landschaft, in der die Gedichte spielen, sowohl von ihrer historischen und kulturellen als auch von ihrer geologischen Betrachtungsweise her. Es ist ja nicht so, dass nur wir die Landschaft prägen, sondern auch, dass wir von der Landschaft geprägt werden. Und diesen Ansatz versuche ich in dieser Zeile zu verdeutlichen, indem ich die Veränderung einer Landschaft mit dem Altern eines Menschen in einem Bild zusammenführe.

Wieviel Sachsen-Anhalt, wieviel Landschaft steckt in Ihrer Lyrik?

Kokot: Da ich über die Hälfte meines Lebens in Sachsen-Anhalt verbracht und hier wichtige Erfahrungen gemacht habe, haben sich die Altmark und die angrenzende Wische schon sehr in mein Wesen eingeprägt. Von eben diesen Erfahrungen und Prägungen sowie den Geschichten der Menschen zehren viele meiner Gedichte. Seien es Anekdoten, die eine Gedichtgrundlage bilden, oder Stimmungen und Atmosphären, die sich in den Bildern wiederfinden. Auch wenn ich nun seit 14 Jahren nur noch zu Besuch in Sachsen-Anhalt bin, kann ich diese Landschaft nicht einfach ablegen, sondern schreibe sie beharrlich fort.

Was ist für Sie ein gelungenes Gedicht?

Kokot: Ein Gedicht, das vielen kritischen Blicken und einer Zeit des Liegenlassens standhält, das ich über Jahre hinweg immer wieder lesen kann. Ein Gedicht, in dem ich etwas von mir wiederfinden kann, das mich nicht unberührt zurück lässt, das mir nicht berechnend daherkommt oder wie gemacht klingt. Ein Gedicht, das lebt und dennoch altert, so wie sein Leser auch.

Wo finden Sie Ihr Material?

Kokot:

Überall. In der Alltagssprache, in Anekdoten, in Lexika, in der Landschaft, in Büchern, in Trinkhallen, in Filmen. In all den Stunden, die ich lesen, wandern, staunen muss, bis sich genug Material angesammelt hat, es sich Bahn bricht und ich versuche ihm eine passende Form zu geben.

Begreifen Sie sich als ein politischer Dichter?

Kokot: Ich möchte meinem Leser nicht vorschreiben, wie er meine Gedichte zu lesen hat oder was eine adäquate Interpretation ist. Mein Anliegen ist es vielmehr, ihm ein Raum zu geben, in dem er sich bewegen kann. Gedichte sind für mich etwas, das mit dem Leser interagiert, ihn also nicht kalt zurücklässt, sondern ihn berührt oder sich selbst erkennen lässt. Wie meine Gedichte gelesen werden, hängt somit vom jeweiligen Leser ab. Und so auch die Antwort, ob ich ein politischer Autor bin.

In welcher literarischen Zeitgenossenschaft sehen Sie sich? Welche Autoren oder Künstler sind wichtig für Ihr Schreiben?

Kokot: Für das eigene Schreiben ist das ständige Schärfen und Verfeinern der Kritikwerkzeuge essentiell, das führt bei mir aber dazu, dass ich keine Hausgötter habe. Trotz allem Zweifeln und Hinterfragen komme ich an Hilbig, Huchel und Thomas nicht vorbei und nehme sie gern zur Hand. In der Prosa geht es mir unter anderen mit Bulgakow, Lem, McCarthy und Dick so. Zudem sind Filme für meine Gedichte sehr wichtig. Wie Tarkovski, Haneke und Farhadi Menschen und ihre Umgebung darstellen, finde ich schon sehr beeindruckend. Von den Poetologien zeitgenössischer Lyriker finde ich momentan die von Levin Westermann, Andreas Altmann und Nancy Hünger sehr interessant.

Herr Kokot, Sie kennen Sachsen-Anhalt, leben in Leipzig. Wie hilfreich ist Mitteldeutschland für junge Autoren wie Sie? Was fehlt?

Kokot: Ich hatte das Glück, von der vielfältigen Literaturförderung Sachsen-Anhalts profitieren zu können. Aus diesem Grund sind Lesungen und Schreibwerkstätten an Schulen sowie Stipendien und Seminare für Nachwuchsautoren für mich essentielle Bestandteile einer Kulturlandschaft geworden. Mein literarischer Werdegang macht deutlich, dass es ein solches System braucht, um junge Menschen an Kultur heranzuführen. So können kulturell Geförderte selbst zu Kulturschaffenden und -Förderern werden. Ich wünschte mir, diese Sichtweise wäre selbstverständlicher, so dass die Kulturfinanzierung nicht ständig Streichungen ausgesetzt und ein Leben als freier Künstler leichter möglich wäre. Momentan ist das aber leider nicht der Fall. (mz)