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Deutschlands größte Kirchenruine wieder aufgebaut

Von Iris Leithold 06.05.2010, 09:31

Wismar/dpa. - Ein heftiger Sturm fegt im Januar 1990 über Norddeutschland. Die einst mächtige St. Georgenkirche in Wismar ist ihm schutzlos ausgeliefert.

Der gotische Bau von 82 Metern Länge gilt nach Bombentreffern im Zweiten Weltkrieg und jahrzehntelanger Vernachlässigung als Deutschlands größte Kirchenruine. Der Nordgiebel stürzt ein. Zwei Häuser begräbt er unter sich, ein Kind wird schwer verletzt. Die Katastrophe rüttelt die Menschen auf. Sie wird zum Beginn des «Wunders von Wismar»: Einwohner und großzügige Spender packen den Wiederaufbau an. An diesem Samstag feiert die Hansestadt, die seit ein paar Jahren zum Weltkulturerbe zählt, gemeinsam mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Die Rettung der Kirche ist das bislang größte Förderprojekt der Stiftung.

Ganz wiederhergestellt ist die Kirche noch nicht, die der Stiftungsvorsitzende Gottfried Kiesow zu den bedeutendsten Backstein-Basiliken im Ostseeraum zählt. Doch in den vergangenen 20 Jahren wuchs Backstein für Backstein der 44 Meter hohe Bau wieder zu alter Pracht, den die reichen wie selbstbewussten Wismarer Bürger im 14. und 15. Jahrhundert errichtet hatten. 40 Millionen Euro flossen in den Wiederaufbau, knapp die Hälfte davon hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz aufgebracht.

Kiesow, dem Spezialisten für gotische Baukunst, ist es vor allem zu verdanken, dass die Stiftung die Georgenkirche schon im Sommer 1990 zu ihrem Förderschwerpunkt machte. Er kannte die Kirche bereits zu DDR-Zeit, beobachtete deren Verfall, ohne etwas tun zu können. Nach der Wende konnte er. Noch 1990 wurden die ersten 500 000 D-Mark für Sicherungsmaßnahmen bereitgestellt. Sie stammten aus dem Verkauf einer Volksmusik-Schallplatte in Zusammenarbeit mit dem ZDF.

Die Georgenkirche ist der zweite große Kirchen-Wiederaufbau in Ostdeutschland neben der noch wesentlich stärker zerstörten Frauenkirche in Dresden. Die Baukosten in Dresden beliefen sich auf 132 Millionen Euro, das barocke Sandstein-Juwel wurde 2005 nach zwölf Jahren Bauzeit wieder eingeweiht.

Im Norden war der aus Lehm gebrannte Backstein über Jahrhunderte der Baustoff der Wahl. In der Zeit der Gotik wuchsen überall in den damaligen Metropolen von Lübeck bis Riga riesige Backsteinkirchen in den Himmel. Die Backsteingotik verbindet bis heute wie ein kulturelles Band die Regionen entlang der südlichen Ostseeküste. Eine «Europäische Route der Backsteingotik» leitet Touristen von einer architektonischen Perle zur nächsten.

Allein Wismar hatte drei große gotische Backstein-Stadtkirchen. Nur St. Nikolai überstand den Krieg unbeschadet. St. Georgen und die benachbarte Marienkirche litten beträchtlich; das ganze Gotische Viertel, in dem sie oder ihre Überreste stehen, fiel in Schutt und Asche. Von St. Marien steht nur noch der Turm, die erhaltenen Grundmauern des Kirchenschiffs werden derzeit auf 1,60 Meter Höhe gemauert. Im Innern soll ein Ort entstehen zur Erinnerung, zur Mahnung und zum Innehalten.

Selbstverständlich träume sie von einem Wiederaufbau auch der Marienkirche, sagt Bürgermeisterin Rosemarie Wilcken. «Aber das ist völlig unrealistisch.» Die Rettung von St. Georgen sei ein einmaliges Geschenk der deutschen Einheit. «Es wäre vermessen, wenn man glaubte, man könnte das alle 20 Jahre wiederholen.»

www.georgenkirche.de