Deutsches Nationaltheater Weimar Deutsches Nationaltheater Weimar: Wüten gegen die Welt
Weimar/MZ. - Im Foyer des Deutschen Nationaltheaters, das sich seit jeher gern mit großen Worten schmückt, fehlt in diesen Tagen ein Karl Kraus zugeschriebenes Zitat: "Wenn die Sonne der Kultur tief steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten", soll der "Fackel"-Autor einst im Angesicht seiner Zeit gesagt haben. In Weimar, wo Intendant Stephan Märki derzeit an seinem Zukunftsmodell für deutsche Bühnen laboriert, dürfte man diesen Bonmot auch als Entschuldigung für ein Projekt lesen, an dem das Haus schweren Schaden nahm.
Dabei hatte Thomas Thieme seine "Baal"-Bühne gut gepolstert: Matratzen lagerten als Spielwiese und Stapelware bis zum eisernen Horizont, dazwischen sammelten sich Kugelaschenbecher und Klaviere. Das Lotterlager über dem Bierkeller - nicht der schlechteste Ort für einen Berserker, dessen Durst so gargantuesk wie seine Libido ist.
Ben Becker ist in der Tat ein begnadeter Flaschenöffner, mit den Frauen weiß er allerdings weniger anzufangen. Lustlos wühlt er in ihrem Schoß nach einem Sinn, den ihm das frische Fleisch nicht bieten kann. Seine Unterhose hängt dazu auf Halbmast wie die rote Fahne im Varieté. Dieser wilde Wiedergänger seines Schöpfers, der sich so tapfer seiner Rolle als Salonlöwe verweigert, entpuppt sich mit zunehmender Dauer als Papiertiger. Und dass er seine schwärmerischen Verse über weite Himmel und weiße Wolken auf die Matratzen - statt direkt auf die Leiber - schreibt, ist ein beredtes Bild.
Neben Blixa Bargeld - der sein Desinteresse zynisch kultiviert - darf der Ex-Fußballprofi Jimmy Hartwig zeigen, dass er Stepptanz und Saxophon besser als Sprache beherrscht. Zur Entourage des Regisseurs, der vor einem Jahrzehnt einen allemal besseren Baal bot, zählen zudem neben der Kostümbildnerin und dem Johannes-Darsteller auch der kleine Herr Hans-Peter Henning und der lokale Altrocker Bernhard Kanold, der schließlich auch noch seine einzige Pointe - und damit fast das Finale versiebt. Man könnte über das Gipfeltreffen von Westberliner Alt-Punks und Thüringer Szene-Typen lächeln. Wenn es denn nicht so traurig wär'.
Denn mit Maritta Horwath und Frederike Schinzler, mit Ute Wiekhorst und Roswitha Marks wahren ausgerechnet die Frauen des festen Weimarer Ensembles Würde in der Vergewaltigung - und betonen damit letztlich ihre Opferrolle in diesem "Baal", mit dem Thieme als Vollblut-Theatermann natürlich auch gegen seine eigene Bühnen-Welt wütet. Dass der "Faust"-Einzelkämpfer dies aber ausgerechnet in diesen Tagen und an diesem Ort tut, schmälert auch seinen Anteil am Gewinn des Bayerischen Theaterpreises, mit dem das Projekt finanziert wurde. Die Ballade vom armen B. B., die hier in scheinheiliger Dreifaltigkeit gesungen wird, ist nicht weniger als der Ausverkauf eines Ensemble-Geistes zugunsten von egomanischen Star-Allüren und Panoptikums-Scherzen. Wenn dieser Wanderzirkus weitergezogen ist, bleibt kaum mehr als kalter Zigarrenrauch und Bierdunst. So kann auch und gerade die Quote zum Killer werden.
Alle Aufführungen bis Januar sind ausverkauft.