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Deutsch-deutsche Geschichte Deutsch-deutsche Geschichte: Wolf Biermann wird 70 Jahre alt

Von Wilfried Mommert 10.11.2006, 13:47
Der Ostberliner Liedermacher Wolf Biermann gibt in der fast ausverkauften Kölner Sporthalle sein erstes Konzert auf einer bundesdeutschen Bühne seit Ostern 1965 (Archivfoto vom 13.11.1976). (Foto: dpa)
Der Ostberliner Liedermacher Wolf Biermann gibt in der fast ausverkauften Kölner Sporthalle sein erstes Konzert auf einer bundesdeutschen Bühne seit Ostern 1965 (Archivfoto vom 13.11.1976). (Foto: dpa) dpa

Berlin/dpa. - Am Mittwoch (15. November) wird der heute in in seinerVaterstadt Hamburg lebende Biermann 70 Jahre alt, wo er auch geehrtwird als «Legende ohne Totenschein», wie er sich selbst in einemseiner neuen Lieder («Heimkehr nach Berlin Mitte») beschreibt.

«Süßes Leben - saures Leben» ist der Titel einer seinerzahlreichen Schallplatten. Das könnte auch für seine Biografiegelten. Ihre vielleicht einschneidendsten Fixpunkte waren die für denkleinen Wolf traumatische Bomben-Feuernacht in Hamburg 1943 und seinespektakuläre Ausbürgerung aus der DDR vor nunmehr 30 Jahren, am 16.November 1976. Sie sollte ihn später auch zum «Stasi-Großinquisitor»machen, der mit dem Unterdrückungsapparat der DDR und seinenHelfershelfern auch in der Kulturszene wie zum Beispiel dem LyrikerSascha Anderson abrechnete.

Was nach seinem Rausschmiss aus der DDR folgte, war die größtekulturpolitische Protestkampagne in der Geschichte des «Arbeiter- undBauernstaates», die auf einen bis dahin einmaligen, zuvor nur von denNationalsozialisten praktizierten Vorgang reagierte: den Rauswurfeines Deutschen aus seinem Land. In diesem Fall eines Deutschen,dessen Vater als kommunistischer Widerstandskämpfer in Auschwitzermordet wurde. Zum Vorwand für die Ausbürgerung hatte die SED einKonzert Biermanns am 13. November in Köln - nach zwölfjährigemBerufsverbot in der DDR - mit angeblich «feindseligem Auftreten»gegen die DDR genommen.

Ein Sturm der Entrüstung brach selbst unter den prominentestenKünstlern und Schriftstellern in der DDR los - von Christa Wolf überArmin Mueller-Stahl bis Manfred Krug. Es folgten Einschüchterungen,Gefängnis und ein intellektuelles Ausbluten der DDR in RichtungWesten. Der Liedermacher selbst erlebte seine Ausbürgerung damalszunächst «als das Ende von Wolf Biermann», wie er sich spätererinnerte. «Ich dachte, es ist aus mit mir, mit meinem Leben, alsLiedermacher und Dichter. Na klar habe ich geflennt.» Die Angst des«Preußischen Ikarus», wie eines seiner Lieder nach der Eisenfigur aufder Weidendammer Brücke über der Spree heißt, dass er abstürzenwerde, wenn sie ihn rausschmeißen, sei begründet gewesen, meinteBiermann.

Die ersten Jahre wieder im Westen waren für Biermann, der 1953 indie DDR übergesiedelt war, nicht immer leicht. Er wurde keineswegsüberall mit offenen Armen empfangen. «Ich hatte aber Glück, ichkonnte aus meinen Schmerzen Lieder machen», meinte er später einmal.Es entstanden wieder zahlreiche Lyrik- und Prosabände Biermanns, derschon zuvor mit Büchern und Schallplatten von sich reden machte, diein DDR-Zeiten zunächst nur im Westen erschienen sind: «DieDrahtharfe», «Der Dra-Dra», «Warte nicht auf bessere Zeiten», «Nurwer sich ändert bleibt sich treu» oder «Chausseestraße 131».

Es ist die Adresse seiner letzten Wohnung in Ost-Berlin gleichneben dem Friedhof von Bertolt Brecht und Helene Weigel, woinzwischen auch einige der damaligen Unterzeichner derProtestresolution ruhen wie Stephan Hermlin und Heiner Müller. In derChausseestraße gab Biermann während seines Berufsverbots alsungeliebter Sänger in der DDR seit 1965 seine inzwischen legendären«Hauskonzerte». Biermanns Versuch nach dem Ende der DDR, in seinealte Wohnung zurückzukehren, misslang. Aber Ehrenbürger von Berlinsoll er werden, meint jedenfalls jetzt der Vizepräsident desAbgeordnetenhauses, Uwe Lehmann-Brauns (CDU).

Mit Trauer, Wut und beißender Ironie brachte Biermann dieVergangenheit zur Sprache, rechnete mit dem Unterdrückungsapparat derDDR ab und hielt doch nimmermüde an seiner sozialistischenEinstellung fest. Auch im «deutsch-deutschen Dichterstreit» nach demEnde der DDR erhob er laut seine Stimme, angespornt durch die eigenen«Entdeckungen» in seinen Stasi-Akten, die beredtes Zeugnis über denStasi-Einfluss auf die Künstler in der DDR ablegten.

Biermann gehört zweifelsohne zu den bedeutendsten Autoren derGegenwart und ist mit Preisen überhäuft worden, vom Georg-Büchner-Preis über den Heinrich-Heine-Preis bis zum Deutschen Nationalpreis.Gerühmt wurde seine einfühlsame Nachdichtung eines jiddischen Poemsvon dem polnischen Juden Jizchak Katzenelson «Großer Gesang vomausgerotteten Jüdischen Volk». Auch als Nachdichter von Shakespeareoder Bob Dylan machte sich Biermann einen Namen.

Zu seinem 70. Geburtstag hat er sich einen neuen Gedichtbandgeschenkt («Heimat», Hoffmann und Campe), dessen Titelgedicht mit derZeile beginnt «Ich suche Ruhe und finde Streit». Die Zeilen einigerseiner frühen Lieder sind längst Klassiker und teilweise zugeflügelten Worten geworden wie «Was verboten ist, das macht unsgrade scharf» oder - aktuell wie eh und je - «Soldaten sind sich allegleich, lebendig und als Leich». Biermanns Lebensmotto aber blieb:«Nur wer sich ändert, bleibt sich treu».

(NDR-Film «Wolf Biermann - Hunger nach Heimat», 11. November 15.40Uhr Arte, 18. November ab 23.25 Uhr zusammen mit dem «Köln-Konzert1976», außerdem sendet der NDR am 19. November um 11.00 Uhr eineMatinee mit Biermann. Die CD-Audio-Edition «Wolf Biermann - Zu Gastbeim NDR» versammelt historische und aktuelle Aufnahmen und Gesprächemit dem Liedermacher.)

Der Dichter, Musiker und Liedermacher Wolf Biermann steht nach seiner Auszeichnung mit dem Joachim-Ringelnatz-Preis der Stadt Cuxhaven auf der Bühne der Kugelbake-Halle in Cuxhaven-Döse und liest Texte von Ringelnatz vor (Archivfoto vom 16.06.2006). (Foto: dpa)
Der Dichter, Musiker und Liedermacher Wolf Biermann steht nach seiner Auszeichnung mit dem Joachim-Ringelnatz-Preis der Stadt Cuxhaven auf der Bühne der Kugelbake-Halle in Cuxhaven-Döse und liest Texte von Ringelnatz vor (Archivfoto vom 16.06.2006). (Foto: dpa)
dpa