Designer Designer: Erich John ist Vater der Weltzeituhr in Berlin
Einmal im Jahr kommt der Eisvogel. Er bleibt drei Tage oder vier. Er landet unweit von Berlin-Marzahn, in Biesdorf, im Gartenbiotop von Erich John. Erich John hat ein geschärftes Auge für seine Umwelt, ob Natur, Kultur oder Nachbarschaft. Und er hat ein tatkräftiges talentiertes Händchen. In einem ehemaligen Bunker hat er einen Teich angelegt, dort leben heute mehrere Generationen Fische, sagt der Naturliebhaber.
Das genaue Hinsehen, das Ausmachen von nur minimalen Unterschieden, das Wahrnehmen, das konnte er als Kind in Böhmen schon besser als die anderen. Später hat er es in der Lehre als Bauschlosser in Neukloster (Mecklenburg) und im Studium als Formgestalter in Wismar, Heiligendamm und Berlin trainiert. Die Natur ist sein Motiv. „Ich bin Romantiker und ich muss eine Beziehung zu dem haben, was ich gestalten, malen will“ sagt der 81-Jährige heute.
Erich John ist einer der großen DDR-Designer. „Gestaltung bedeutet für mich die Optimierung des Lebensraumes.“ Was kaum einer weiß: er hat die Berliner Weltzeituhr erfunden. Vor 45 Jahren begannen die Planungen zu dem Ansichtskartenmotiv und Haupttreffpunkt Berlins, Hotspot würde man heute sagen.
Nach der Wende stand die Weltzeituhr genauso auf der Abschußliste angeblicher sozialistischer Architektur - „Sünden“ wie das Ahornblatt von Ulrich Müther oder der Palast der Republik. „Aber sie steht noch“ sagt Erich John, dessen Lebenswerk sie am Ende sein wird. „Allerdings müsste sie dringend einmal saniert werden.“
Gerade sind im Berliner Frieling-Verlag die Lebenserinnerungen des genialen Erfinders erschienen, „Ikarusflüge“ hat er sie genannt, die steten Höhenflüge inbegriffen wie die abrupten Tiefgänge. Zuerst zu den Höhenflügen, die seit dem Studium an der Kunsthochschule Weißensee fast 40 Jahre anhielten: Wovon heute viele junge Designer träumen, eigene Produkte zu entwerfen für die Menschheit, das war Erich John vergönnt. Er entwarf die „Erika“-Schreibmaschine, das Mikroskop für den Biologieunterricht, er entwarf Eßbesteck oder das galiläische Besteck (austauschbare Operngläser). Und dann gewann der Gestalter den Wettbewerb für eine neue „Urania-Säule“ am Alexanderplatz, weil er dort eine Uhr vorschlug, die die Zeit anzeigte von den geografischen Orten, die der normale DDR-Bürger mit großer Wahrscheinlichkeit nie würde sehen können. „Viele spürten seit dem Mauerbau die Enge der Stadt, die Anmutung von Weltoffenheit und Weltweite war durch eine Weltzeituhr offensichtlich ein berührender Gedanke.“
DDR-Chefgestalter Walter Womacka hatte den damals 36-Jährigen zu diesem Wettbewerb gedrängt. Womacka, mehr als 20 Jahre als Rektor der Kunsthochschule Weißensee tätig, war damals für die Planungen am Alexanderplatz zuständig. An gleicher Stelle hatte im 19. Jahrhundert eine URANIA-Säule, eine viereckige Säule mit großer Uhr gestanden. „Durch diese Recherche bekam ich den Anstoß, über eine Uhr nachzudenken.“ John gewann unter 25 Mitbewerbern. Neun Monate dauerte das Unternehmen von der Planung bis zur Fertigstellung, „eine äußerst kurze Zeit, wenn man bedenkt, dass es ein Prototyp war und viele Materialien, Details nicht so leicht zu bekommen waren.“ Aber die Uhr sollte zum 20. Jahrestag stehen. Weil die Lieferzeit für Kugellager drei Jahre betrug, organisierte John „Westlager“ aus Dortmund. Zusammen mit einem umgebauten Trabant-Getriebe entwarf John gemeinsam mit Ingenieuren und Konstrukteuren aus den Optischen Werken Rathenow eine ausgeklügelte 16-Tonnen-Konstruktion, die bis heute funktioniert. Nachdem die Uhr im VEB Wasseraufbereitungs-Anlagenbau in Rathenow stand, musste sie per Schwerlasttransport und Polizeigeleit irgendwie in die Hauptstadt kommen. „Das erste Mal fuhr ich in Polizeibegleitung mit Blaulicht durch die Dörfer, eine Gruppe vorweg, um Äste von den Bäumen abzuschneiden und die Straßenbahnoberleitungen anzuheben“ erinnert sich John an die unvergesslichen Bilder.
1973 wurde Erich John zum Professor für Formgestaltung in Weißensee berufen und lehrte dort bis 1990, wie sich Funktion mit Gestaltung intelligent und kreativ vereinen lässt, mit den wenigen Mitteln, die zur Verfügung stehen. Mit der Wende kamen auch für den Professor die großen Veränderungen, die Tiefflüge des Ikarus folgten. 1992 kam das Aus für die Kunsthochschule. „Die Proteste erreichten uns aus der ganzen Welt. Und unsere Studenten hatten stinkenden Hering vor dem neuen Rektor ausgekippt.“ Alle Professoren sollten sich noch einmal neu bewerben. Für John kam das nicht in Frage, er wollte nicht dabei sein, wenn es um das Rangeln ging. Es war eine verrückte Zeit, Erich John stand kurz vor seinem 60. Geburtstag. „Diesen Geburtstag feierte ich dann mit meiner Frau in Casablanca. Schliesslich hatten sie uns ja auch in die Wüste geschickt.“ Danach machte er sich als Innenarchitekt selbstständig und unterstützte seinen Sohn bei dessen Projekten.
Mit 63 Jahren wurde der Macher der Weltzeituhr Rentner und Weltenbummler: Er und seine Frau kauften sich ein anderes Auto und bauten es reisefähig um. Die Frau, eine Grafikerin, nähte ein Zelt, das als Heckanschluß am Auto funktionierte. „In 20 Minuten war unsere Schlafstadt aufgebaut und wir machten Europa unsicher.“ Später flogen die beiden nach Marokko, Tunesien, Ägypten, in die Westsahara, nach Laos, Burma, Thailand. Überall fanden sie Motive zum Malen und Fotografieren. Diese Erinnerungen bleiben nun in Berlin-Biesdorf, hängen zu Dutzenden an den Wänden im Haus, kürzlich auch in einer Ausstellung in Rathenow. Dort wird Erich John heute noch sehr verehrt.
„Ikarusflüge“, Frieling-Verlag, 11,90 Euro, ISBN 978-3-8280-3081-7