«Der Tag des Opritschniks» «Der Tag des Opritschniks»: Wie der Staat gehärtet wurde

Halle/MZ. - Vaterländische Abgesänge, bei denen sämtliche Körpersäfte spritzten. Das ist wieder so und doch anders. Nie war er so unverstellt politisch. Man kann bei seiner aktuellen Antiutopie im Windschatten von Orwell und Huxley gar nicht anders, als jüngste russische Ereignisse um Putin, Kasparow, Litwinenko oder Politkowskaja mitzudenken. Er dreht die Schraube nur weiter.
Wir sind im Jahr 2027 und die Entwicklung ist zurück nach vorn gelaufen. Russland ist noch da: einig, reich und riesig. Nach einem großen Wandel zum klerikalen Absolutismus ist es wiedergeboren. Es regiert der Gossudar, dessen Vater 2011 mit dem Bau der großen Westmauer begonnen hatte. Nun steht sie und alle Länder dahinter hängen am Öltropf. Auch der Gashahn wird periodisch zugedreht, der Rubel steigt gegenüber dem Yang. Sibirien ist mit 28 Millionen Chinesen besiedelt und die ausländischen Supermärkte sind abgeschafft. Das Angebot der Lebensmittelkioske ist überschaubar, damit die Qual der Wahl nicht vom Eigentlichen ablenkt. Saubere Drogen sind legalisiert, damit das Proletariat beschwingt sein Soll erfüllt. Und weil keiner mehr weg soll, sind 2009 schon auf dem Roten Platz die Reisepässe verbrannt worden. Die Leninleiche ist endlich weggeräumt und der Kreml weiß getüncht als Symbol des neuen Leuchtens. Europa siecht, weil Russland seinen archaischen Untertanengeist reaktivieren konnte.
Dazu braucht der Herrscher eine Leibgarde wie weiland Iwan der Schreckliche. Die Opritschnina, die einst schon so hieß, rekrutiert sich aus blutrünstigen Hochschulabsolventen aus dem Volk. Sie ist ein Staat im Staate, ausgestattet mit modernster Hightech. Andrej Komjaga zählt zum inneren Kreis. Er hat viel zu tun, ist immer im Dienst und immer bereit. In pseudonaivem, kindlichem Tonfall und immer streng aus der Täterperspektive protokolliert er einen Tag aus seinem der Sache ergebenen Leben. Dies ist eine Grundkonstellation, bei der Sorokin seinem Affen Zucker geben kann. Er türmt erzählerische Kabinettstücke, wenn er das durch die Jahrhunderte Staatstragende der russischen Beamtenseele auf die satirische Spitze treibt. Nur ist das Lachen darüber kein wirklich befreiendes.
Komjaga hat viel zu tun, muss Westsender abhören, an der Orenburger Erdgastrasse Zollprobleme klären, einen Blaublütigen kaltstellen und an der Gruppenvergewaltigung seiner Witwe teilnehmen, muss Gedichte zensieren, Geld eintreiben und Fürsprache einlegen nach Preisliste. Er muss in die Kirche, zur Wahrsagerin, an die Badewanne der Gossudarin und ins Bolschoi Theater. Er steht unter Stoff und unter Beobachtung, schläft zu wenig und schlägt zuviel.
Er kommt rum, bleibt seiner Sache treu und diskutiert nicht. Höchstens ein wenig nachts im innersten Kreis, den Sorokin in der Sauna zusammenruft, bevor sich dort im grandiosen Finale dieses heftigen Romans die nackten Befehlsempfänger in einer monströsen Kollektivkopulation zum Kreisverkehr ineinanderschieben. Dann verliert das Sein das Bewusstsein. Vorübergehend bis zum nächsten Morgen.