Denkmalschutz Denkmalschutz: Größter jüdischer Friedhof Europas steht vor dem Verfall

Berlin/dpa. - Ein Kulturgut mit den Maßen von 60 Fußballfeldern gehe verloren, fürchtet die jüdische Gemeinde - und stellt deshalb ehrgeizige Forderungen: Der Bund soll Millionen in den Friedhof stecken. Und er soll die riesige Ruhestätte als Weltkulturerbe-Stätte bei der UNESCO vorschlagen.
Besuchern präsentiert sich der Friedhof immer mehr wie einverwunschener Park. Nur wenige Sonnenstrahlen dringen an Sommertagendurch das dichte Dach aus Ahorn, Linden und Eichen. Leise zwitschernVögel. Spinnenweben glänzen silbern in den Sonnenstrahlen, zwischendicht gestellten Grabsteinen sprießen Pappeln, Weiden und Birken.Efeu hat von vielen Pfaden Besitz ergriffen, anderswo drängenBaumwurzeln nach oben und werfen Wellen in das Kopfsteinplaster.
Doch die Idylle trügt. «Rettet den Friedhof!», titelt dramatischdie Wochenzeitung «Jüdische Allgemeine». Mindestens 40 Millionen Eurokoste die Restaurierung, sagt der Gemeindevorsitzende Albert Meyer.«Es ist fünf vor zwölf.» Die Gemeinde hatte vor der Nazi-Zeit bis zu170 000 Mitglieder und ist heute mit rund 12 000 immerhin die größtein Deutschland - und doch zu klein, um den Friedhof mit seinen rund115 000 Gräbern zu erhalten.
Und so stützen heute schwere Balken prachtvolle Grabmäler, damitdiese nicht umkippen. Große Namen stehen auf manchem Stein: DieVerleger Rudolf Mosse (Berliner Tageblatt) und Samuel Fischer (S.Fischer Verlag) sind in Weißensee begraben, der WiderstandskämpferHerbert Baum, Kaufhausgründer Hermann Tietz (Hertie), der RabbinerLeo Baeck und der Schriftsteller Stefan Heym.
Besonders seine zahlreichen meterhohen Prachtgrabmale machen denFriedhof zu etwas Besonderem. «Der Friedhof steht für die Zeit desHereinwachsens des Judentums in die bürgerliche Gesellschaft»,erklärt der Hamburger Friedhofsforscher Norbert Fischer. ImKaiserreich hätten sich die Juden zunehmend ihrem Umfeld angepasst,auch mit ihren Friedhöfen. Grabinschriften in deutscher Spracheersetzten hebräische, monumentale Grabsteine traten an die Stelleschlichter Stelen. Weißensee stehe für ein gedeihliches Miteinander.
Doch auch die Verfolgung der Juden nach 1933 zeigte sich dort. Inden ersten Nazi-Jahren ließen sich hier auswanderungswillige Juden zuGärtnern ausbilden, um im Ausland eine neue Existenz aufzubauen. DieZahl der Bestattungen erreichte 1942 ihren Höhepunkt, weil sich vieleaus Verzweiflung das Leben nahmen. Tausende Berliner Juden starben inden Konzentrationslagern; die Gräber ihrer Vorfahren verrotteten.
Seitdem blieben alle Hilfsversuche - von freiwilliger Arbeit derFreien Deutschen Jugend der DDR, über Förderung durch Stiftungen, dasLand Berlin und den Bund bis hin zu einem von Richard von Weizsäckerorganisierten Benefizkonzert - «Tropfen auf dem heißen Stein», wieder Gemeindevorsitzende sagt. Weite Teile des riesigen Friedhofsverfallen. Neben einem stärkeren Engagement der Bundesregierung suchtdie Gemeinde nun die Aufnahme ihres Friedhofs in die UNESCO-Liste derWeltkulturerbe-Stätten. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit(SPD) unstrich die «nationale Bedeutung» Weißensees und sicherteseine Unterstützung zu.
Doch Weißensee ist nach Darstellung des Friedhofsforschers Fischernicht der einzige besondere jüdische Friedhof in Deutschland. Derjüdische Friedhof «Heiliger Sand» in Worms stammt aus dem 11.Jahrhundert und ist der älteste Europas. Auch Hamburg-Altona hateinen bedeutenden jüdischen Friedhof. Fischer meint, dass jeder derdrei für sich eine Epoche in der Geschichte des Judentums inDeutschland vertrete.